Fremde Opfer, deutsche Täter

Wie so eine „rechte Milieubildung“, welche als eine der prägnantesten Gefahren der Akzeptanz rechter Jugendbünden genannt wurde, im Detail auswirkt, kann man sich hervorragend an dem xenophoben Artikel „Integration, ja gerne, aber…“ von Wolfgang Moeller in der Ausgabe Nr. 100 der überbündischen Zeitschrift „Idee & Bewegung“ (Dezember 2012) anschauen. Einen Artikel über „Antlitzdiagnostik und Psychophysiognomik“ in derselben Ausgabe sollte der interessierte Leser ebenfalls zur Kenntnis nehmen.

Klischees und Erregung

Zu „Idee & Bewegung“, der Zeitschift der „Kulturinitiative Lebendig Leben“ nur kurz: Diese Zeitschrift ist in meinen Augen eine manchmal etwas skurrile Ansammlung aus Fahrtenberichten, Gedichten, Volksliedern, Ernährungstipps, sowie religiösen, historischen und reformpädagogischen Artikeln. Eine Mischung, wie sie für die bündische Bewegung nicht untypisch ist, wenn auch inzwischen eher für den weißhaarigen Flügel. Unter den drei größeren „jugendbewegten“ Zeitschriften ist sie dadurch ein Unikum und neben wenigen begeisterten Lesern und einigen kritischen Stimmen werden die Meisten diese Zeitschrift nie kennengelernt haben. Dennoch hat sie einen nicht zu unterschätzenden Wirkungs- und Bekanntheitsgrad. Die Verbreitung neurechten Gedankenguts grade durch dieses Medium vermag auf den ersten Blick zu überraschen, sehen sich die meisten Vertreter von modernen anthroposophischen und reformpädagogischen Strömungen selbst doch gerne als „fremdenfreundlich“. Auf den zweiten Blick geht Anthroposophie und Rassismus jedoch oft Hand in Hand.

Autor des Artikels ist Wolfgang Moeller, Fahrtenname strubb, welcher auch Mitglied der Redaktion von „Idee & Bewegung“ ist und sich auf der Internetseite buendische-blaue-blume.de mit einem vermeintlichen Augenzwinkern viele „rechte“ Wandervögel wünscht. Der Artikel „Integration, ja gerne, aber…“ ist ein Paradebeispiel, wie menschenfeindliches Gedankengut unter anderem durch den Einfluss der Neuen Rechten in die bündische Bewegung getragen wird. Moeller zufolge ist es der Polizei angeblich verboten „Roß und Reiter“ zu nennen, (gemeint sind Straftäter mit ausländischen Wurzeln,) aber er selbst nimmt kein Blatt vor den Mund.

Die „wohlgenährte Integrationsindustrie“

Der Autor richtet sich an all jene, die von dem (nach Meinung des Autors offensichtlich irrtümlichen) Gedanken „beseelt“ seien, „sie gehören doch alle zu uns“. Wer „sie“ genau sind, bleibt unklar, es geht zunächst unscharf um „Bevölkerungsgruppen unterschiedlicher Herkunft“, im folgenden dann aber doch ausschließlich um Muslime. Ob diese deutsche Staatsbürger sind oder nicht, scheint für Moeller keine Bedeutung zu haben. Er beklagt, dass nirgendwo die Kosten für, „u.a. die Versorgung der Zweit- und Drittfrauen nebst Kinder“ und die Integration der „bereits in soundsovielter Generation hier ansässigen Mitbewohner (sic!) mit ausländischen Wurzeln“ veröffentlicht werden.

Welchen Zweck eine solche Kostenerfassung haben soll, möchte ich mir nicht ausmalen – aber vielleicht hätte man fairerweise den Kindern und Enkeln der Einwanderer vorher sagen sollen, dass die kostenlose Schulbildung ihrer Kinder als Argument gegen ihre Zugehörigkeit zum „deutschen Volk“ verwendet werden würde.

Für Gott und Vaterland: Auf dem Kreuzzug gegen das Feindbild Islam

Der Hoffnung, dass der unerwünschte Mitbewohner bald wieder ausziehen möge, drückt der Autor nur verklausuliert aus, hat er anscheinend bereits die Erfahrung gemacht, dass seine Äußerungen als das bezeichnet werden, was sie sind: „Es ist schon schwer, sich als kritisch äußernder Mensch gegen Rassismus- und Nazikeulen zu wehren.“ Vielleicht weil der Vorwurf berechtigt ist? Sein Hinweis, gegen den Islam zu sein, könne ja kein Rassismus sein, (weil Islam keine „Rasse“ ist,) zerschellt an der fremdenfeindlichen Grundhaltung des Artikels. Hier wird die Religion von über 1 Milliarde Menschen blindwütig abstempelt und Deutsche mit ausländischen Wurzeln als Fremde betrachtet, deren Integrationskosten sich keiner zu berechnen traut, weil dies die „Aufschreie und Proteste der inzwischen wohlgenährten ‚Integrationsindustrie‘ zur Folge hätte“.

Die Integrationsbeauftragten der Bundesländer „Türkenminister“ zu nennen, „verkneift man sich besser, obwohl es sehr nach Lobby“ aussähe. Der Koran wird mit „Mein Kampf“ verglichen, der Islam wird anhand von ausgewählten Suren und Aussagen fundamentalistischer Prediger als grundsätzlich gewalttätig und intolerant, oder noch krasser als eine dem Kommunismus nahestehende „faschistoide Eroberungsideologie“ (sic!) beschrieben, während ja bekanntermaßen alle anderen Religionen sich primär durch ihren Liebe und Gleichheit auch gegenüber Andersdenkenden auszeichnen würden; der Koran enthalte Suren die „außerordentlich grundgesetzwidrig“ seien und diese hätten für alle Muslime Absolutheitsanspruch. Während das Christentum bekanntermaßen ausschließlich Liebe predige, wird der Islam nur in Anführungszeichen und in einem erkennbar sarkastisch gemeinten Kontext als „Religion des Friedens“ bezeichnet. Ein Islamunterricht an Schulen würde eine Indoktrination mit den erwähnten und weiteren intoleranten Überzeugungen zwangsläufig verstärken und sowieso „gibt (es) reichlich Belege und Aussagen, dass das Ziel eine Islamisierung Europas ist.“

Man fragt sich, ob Moeller auch nur einen der 2 bis 4 Millionen Muslime in Deutschland persönlich kennt.

Quelle: Götz Kubitschek

Neben Heinz Buschkowsky (Bürgermeister von Neukölln) und Necla Kelek (bekannte Islamkritikerin) und dem Zentralrat der Ex-Muslime in Deutschland als Zeugen seiner Thesen werden Aussagen des iranischen Diktators Ahmadinedschad, des streng konservativen türkischen Ministerpräsidenten Recep Tayyip Erdogan und diversen fundamentalistischen Predigern als typisch für den Islam dargestellt. Eine weitere Fußnote verweist auf Götz Kubitschek und sein Buch „Deutsche Opfer, fremde Täter“. Da wundert es auch nicht mehr, dass man Moeller zufolge „den Medien“ nicht trauen dürfe: „Zeitungen unterdrücken oft entsprechende Meldungen“, da „politische Korrektheit“ das oberste Gebot sei und „nur wer im Netz unterwegs ist, erfährt die Dramatik der Gewalt von Tätern vor allem von muslimischer Seite.“

Bei einer solchen Suche wird jede differenzierte Darstellung als verfälscht, jede kritische aber als wahrhaftig und allgemeingültig wahrgenommen. Dieser selbstverstärkende Filter ist Voraussetzung für jede extreme Weltanschauung – und so steckt Moeller in der Falle, vor der er uns eigentlich warnen möchte. Er glaubt nur, was er eh schon weiß und wer anderer Ansicht ist, muss entweder blind oder ein Lügner sein. Früher oder später wird man bei dieser Art von Suche auf den Internetseiten, bei den Büchern, den Protagonisten und Demagogen der Neuen Rechten, und der NPD landen.

Die neurechte Milieubildung in der bündischen Bewegung hat längst begonnen.

Im Islam gibt es, wie in jeder milliardenstarken Weltanschauung problematische Strömungen und ich bezweifel nicht, dass der Zentralrat der Ex-Muslime eine sinnvolle Arbeit leistet, aber wer „den Islam“ als Problem identifiziert hat, hat nicht mehr als ein bequemes Feindbild.

 

Ein Gastbeitrag von zille

Tags: , , ,

Comments are closed.