NPD und Jugendbewegung

jugend_wacht3Nicht nur neu-rechte Kreise versuchen die Geschichte und Ideale der Deutschen Jugendbewegung für ihre Zwecke aufzugreifen. Auch in den verschiedenen Blättern und Zeitungen aus dem Kreise der NPD und ihrer Organisationen werden in regelmäßigen Abständen Artikel über die Jugendbewegung veröffentlicht, in denen dieses historische Phänomen aus nationalistischer Sicht dargestellt wird. Daneben werden ebenso regelmäßig die „freien Jugendbünde“ empfohlen1, welche diese Traditionen heute fortführen.

Andreas Molau, der BHJ und die Deutsche Hochschulgilde

Als sich in einem Eintrag im Internetgästebuch der NPD Niedersachsen jemand als Mitglied und Gruppenleiter im Bund der Pfadfinderinnen und Pfadfinder (BdP) ausgibt und nach der Einstellung der NPD zu seiner Arbeit mit 7 – 11jährigen Kindern fragt, antwortet ihm der damalige Kandidat für den Parteivorsitz, Andreas Molau, dass er „bündische Jugendarbeit für extrem wichtig“ halte. Sie stelle eine selbstbestimmte Jugendarbeit dar, „die nicht durch Wirtschaftinteressen oder Ideologieinteressen bestimmt“ sei.2In einem Interview in der NPD-Parteizeitung Deutsche Stimme erklärte Molau im März diesen Jahres:

Der BHJ [der heutige Freibund – Bund Heimattreuer Jugend, Anm. d. Verf.] faszinierte mich als Jugendbund und weckte eine völkische Lebenseinstellung in mir. Im Studium konnte ich dann wenigstens ein wenig das Bündische von Fahrt und Lager erleben. (…) Nach der Bundeswehr traf ich während meines Studiums im korporativen Bereich viele Gleichgesinnte, und wir hatten schöne Jahre im roten Göttingen, wo wir mit öffentlichen Veranstaltungen und Flugblattaktionen politisch arbeiteten.3

Die Fahrten und Lager, von denen Molau hier spricht, sowie seine Aktivitäten im „korporativen Bereich“ betreffen seine Mitgliedschaft in der „Deutschen Hochschulgilde Trutzburg Jena zu Göttingen“, in der Molau bis zum Beginn dieses Jahres Mitglied war. Diese Mitgliedschaft ist derzeit niedergelegt.

Die „deutsche Seele“

2008 widmet sich ein längerer Artikel im Parteiorgan der NPD, Deutsche Stimme, von Jürgen W. Gansel dem 95 Jahrestag des Treffens der „Freideutschen Jugend“ auf dem Hohen Meißner. In einem Abriss zur Entstehung des Wandevogels heißt es dort:

„Von einem neuen Geist kündete das Auftreten der Gruppe, die sich bald >>Wandervogel<< nennen sollte: Zur Bekräftigung des Freiheitswillens trug man Bundhosen, Schlapphüte, Halstücher und Rucksäcke. Man begann, sich mit dem germanischen >>Heil!<< zu grüßen, und trug als Zeichen der Zugehörigkeit eine rot-grün-goldene Kordel. In langen Tagesmärschen erkundeten die Jungen bei einfachster Lebensweise, mit Kochen im Freien und Übernachtung in Zelten oder Scheunen, die heimatliche Natur und pflegten dabei das Liedgut ihres Volkes. (…) Das blut- und bodenhafte Lebensgefühl und die Pflege des überlieferten Kulturgutes schufen feste Bande der Zusammengehörigkeit“4

Zum Treffen auf dem Meißner, welches als vorläufiger Höhepunkt der Jugendbewegung verstanden wird, stellt der Autor der Deutschen Stimme die Nationalistischen Redner in den Vordergrund und grenzt sich gerade von solchen ab, die noch heute den progressiven Jugendbewegten als historisches Vorbild dienen und deren Reden in der Rückschau auf das Meißnertreffen besondere Beachtung finden:

„Am Haupttag wurden zahlreiche Reden an die hoffnungserfüllte Jugend gerichet, die in ihrer inhaltlichen Unbestimmtheit die bevorstehende Gründung der Freideutschen Jugend unter keinem guten Stern erscheinen ließen. Ein österreichischer Wandervogel beschwor den Volkstumskampf seiner Heimat: ‚Mitten im Kampf um unser Deutschtum stehen wir, in einem verzweifelten Kampf gegen die slawische Hochflut. Nicht nur geistig, nein, schwere blutige Kämpfe stehen bevor.‘
Den negativen Kontrast bildete die Rede Gustav Wynekens, der zwar dem Patriotismus sein Existenzrecht zubilligte und ein freies Deutschtum proklamierte, sich aber ‚betroffen‘ über den Nationalismus einiger Bünde Äußerte. Im Verlauf seiner Rede verlor er sich in abstrakten Ausführungen über den Hegelianischen Weltgeist und verfehlte damit die Erwartungshaltung seiner tatbereiten Zuhörer.“5

Den Ausbruch des ersten Weltkrieges, der für die weitere Entwicklung des Wandervogels eine Zäsur bedeutete, kommentiert der Artikel wiederum durch den Fokus des Nationalismus.

„Wie bindungssuchend und opferbereit die Jugendbewegung trotz ihres Unabhängigkeitsanspruchs war, zeigte sich im Herbst 1914 bei Langemarck, als blutjunge Studenten und Wandervögel mit dem Lied der Deutschen auf den Lippen gegen die britischen Stellungen anrannten und tausendfach den Heldentod fanden. Wer die Geschichte und Ideale der Jugendbewegung nicht kennt, der weiß nichts von der deutschen Seele.“

In die gleiche Kerbe schlug in der Deutschen Stimme bereits in der Januarausgabe 2002 ein Autor, der sich Pietro Belcampo nennt. Der ähnlich aufgebaute Artikel befasst sich gleichfalls mit der Geschichte von Wandervogel und Jugendbewegung. Unter dem Titel „Eine rebellische und romantische Jugend entdeckte die Natur und sich selbst“, wird zunächst auf eine Veranstaltung zum Thema 100 Jahre Wandervogel in Berlin-Steglitz, die im November des Vorjahres stattgefunden hatte, verwiesen. Hierzu heißt es in dem Artikel:

„Doch hinterließ die Jubiläumsveranstaltung >>Wandervogel heute<< einen bitteren Nachgeschmack. Politisch-opportunistischer Geist wehte durch die Veranstaltung, obwohl gerade das Gegenteil den Wandervogel auszeichnete. (…) In der Presselandschaft erschienen in den Wochen danach meist nur konformistische und undifferenzierte Artikel und >>Rückblicke<< auf den Wandervogel. Das Phänomen Wandervogel wurde beäugt wie ein Relikt aus alten Zeiten, zu dessen Wesen es den Autoren unmöglich war, einen Zugang zu finden.“6

Im weiteren Verlauf des Artikels folgt wiederum eine historische Beschreibung des Wandervogels, die wiederum unter der Zwischenüberschrift „Heldentod der Idealisten bei Langemarck 1914“ folgende Darstellung enthält:

„Dieses Lebensgefühl im Wandervogel hatte zu Beginn des ersten Weltkrieges seinen höchsten Ausdruck im >>magischen Idealismus<< (Novalis) gefunden. Mit dem Deutschlandlied auf den Lippen schritten bei Langemarck die jungen Kriegsfreiwilligen in die MG-Garben des Feindes. Aus militärischer Sicht mag der Heldentod der Jünglinge, Wandervögel oder Jugendbewegten in dem damaligen Gefecht fraglich erscheinen. Doch wer wie die jungen Kriegsfreiwilligen hinter die Dinge zu schauen vermag, der mißt dem eigenen Leben einen anderen Wert zuals dem Ideal. Und das Ideal der Gefallenen hieß Deutschland.“7

Mit dem „politisch-opportunistischen Geist“ zu Beginn des Artikels mag unter anderem die Festrede des Soziologen Arno Klönne gemeint gewesen sein. Bereits im Vorfeld der Veranstaltung war vom Bundesführer des Nerother Wandervogels, Fritz-Martin Schulz, die Planung einer Festrede des Jugendbewegten Soziologen, der neben vielem anderem auch das Standard-Werk „Jugend im Dritten Reich – Die Hitlerjugend und ihre Gegner“ verfasst hat, in einem Interview mit der Jungen Freiheit scharf kritisiert worden.8Das Interview mit Schulz sorgte seinerzeit wegen einer Reihe weiterer kontroverser Äußerungen für kritische Reaktionen in jugendbewegten Zeitschriften wie dem „eisbrecher“.

Der Deutsche-Stimme-Artikel von 2002 endet mit dem Verweis auf heutige Gruppen, die laut Deutscher Stimme in der „alten Traditionslinie ihres zeitlosen Wollens“ stehen. Gemeint sind die „Romantik und ihre Nachfolger“:

„Darum haben die >>letzten Wandervögel<< und ihre Geisteshaltung auch heute noch ihre Daseinsberechtigung.“

Die Hervorhebung des Begriffs der „letzten Wandervögel“ ist ein Hinweis auf das von Schulz 1995 veröffentlichte und 2002 in überarbeiteter Auflage erschienene gleichnamige Buch9, welches ebenfalls in der Jungen Freiheit besprochen wurde.10So endet der Artikel von Pietro Belcampo auch mit einer Empfehlung mehrerer „bündischer Gruppierungen“, darunter neben dem Freibund, der Heimattreuen Deutschen Jugend und der Jungen Landsmannschaft Ostpreußen11auch der Nerother Wandervogel. Alle Empfehlungen sind mit Kontaktadressen versehen.

Jugendbwegung zwischen 1933 und 1945?

In vier Ausgaben der damaligen Zeitschrift des Landesverbandes Berlin/Brandenburg der „Jungen Nationaldemokraten“ (JN), der Jugend-Wacht, wurde 2003 ein Fortsetzungsartikel über „Die deutsche Jugendbewegung“ veröffentlicht (siehe Abbildung). Der Autor, im ersten Teil als Jan Schmidt., in den übrigen Teilen als Jan G. [Name wegen einer Namensgleichheit gekürzt] angegeben wird, beschreibt ein weiteres Mal die Geschichte der Jugendbewegung aus der Perspektive eines Nationalisten. Eine Besonderheit der Darstellung ist hier jedoch die Einordnung der gleichgeschalteten Jugend während der Zeit des Nationalsozialismus in den Kontext der Jugendbewegung. Zu dieser Periode und der Zeit kurz vor der Auflösung der freien Bünde der bündischen Jugend schreibt der Autor:

„Das nationale Selbstverständnis und auch das völkische Bekenntnis waren zwar immer noch die Pfeiler der Jugendbünde, jedoch fehlte es am Willen zur Veränderung der bestehenden politischen Verhältnisse. Die großen Bünde der Jugendbewegung waren derart mit sich selbst beschäftigt, daß sie nicht mehr die Träger einer großen Idee waren, sondern zum absoluten Selbstzweck verkamen. An der Basis, in den regionalen Jugendgruppen der verschiedenen Bünde sah die Sache jedoch ganz anders aus. Man war sich der Wurzeln der deutschen Jugendbewegung durchaus bewußt und so gab es auch keine Berührungsängste zu der Jugendorganisation der NSDAP, der Hitlerjugend (HJ).“12

Der JN-Autor versucht die Geschichte so darzustellen, als habe die Mehrheit der damaligen Mitglieder jugendbewegter Bünde ein Zusammengehen mit der Hitler-Jugend befürwortet. Tatsächlich hatte es zwar eine Reihe von Bünden gegeben, die bereits einige Jahre vor der Wahl Hitlers zum Reichskanzler dem Nationalsozialismus verbunden gezeigt hatten, eine große Anzahl von Bünden hatte jedoch bis zuletzt versucht, den Vereinnahmungstendenzen durch die Nazis verschiedene Strategien entgegenzusetzen. Die Jugend-Wacht schreibt hingegen:

„Es war offensichtlich, daß es zwischen den Bünden der deutschen Jugendbewegung und der HJ viele Gemeinsamkeiten gab, nur die Art der Umsetzung der gemeinsamen Grundlagen war eine andere. (…) Erwähnenswert ist in diesem Zusammenhang nur, daß bereits vor dem 30.1.1933 viele in den ‚bündischen Gruppen‘ organisierte Jugendliche in die Reihen der HJ, der SA und der SS wechselten. (…) Das hohe Maß an geistiger, moralischer und politische Übereinstimmung mit den Vorstellungen des Nationalsozialismus war der wirkliche Grund für die Auflösung der Jugendverbände.“13

Als Kronzeuge für diese verfälschte Darstellung der Geschichte wird gar Reichsjugendführer Baldur von Schirach zitiert:

„Nicht ich habe das Todesurteil der Bünde gesprochen – dieses Urteil wurde von der Wirklichkeit, vom realen Leben verkündet, unsere Zeit verlangt nicht nach einer Romantik der höheren Schüler am Lagerfeuer. Sie hat kein Verständnis für die intellektuelle Debatte der 17jährigen über den Sinn des Lebens, wenn diese Debatte in keinen Handlungen endet… .“14

Die Erklärung der HJ zur Staatsjugend durch das Gesetz vom 21. Dezember 1936 und der dadurch endgültig veranlassten Gleichschaltung der Jugend schreibt die Jugend-Wacht weiter:

„Damit war die HJ auf dem besten Wege zur Vollendung der Volksgemeinschaft aus der Sicht der Jugendbewegung. Sie war mit diesem Gesetz in der Lage, eine Gemeinschaft heranzubilden, der alle deutschen Jungen und Mädels angehörten.“15

Die gegen Kriegsende als Hilfssoldaten verheizte Jugend ist dem Autoren noch eine Huldigung wert:

„Der Glaube an die Zukunft unseres Volkes und Reiches forderte gerade in den letzten Kriegstagen viele Opfer auf Seiten der deutschen Jugend. Ihr Opfergang war nicht vergebens.“16

Im vierten und letzten Teil der Serie wird über die „Volkstreue Jugendbewegung vom Kriegsende bis heute“ berichtet. Einleitend findet sich ein Zitat des Wiking-Jugend-Führers Raoul Nahrath:

„1945 brach nicht nur das Reich zusammen, sondern mit ihm die größte einheitliche, von einem ungeheuren Idealismus geprägte Jugendbewegung aller Zeiten (…)“17

Auch der Autor des JN-Blattes macht noch einmal deutlich, dass die Hitlerjugend aus seiner Sicht noch zur Jugendbewegung gehört habe, wenn er schreibt:

„Der Zusammenbruch des Deutschen Reiches, die Kapitulation und die Besetzung durch die alliierten Siegermächte des Zeiten Weltkrieges hatten natürlich auch Auswirkungen auf die deutsche Jugendbewegung. (…) Die alte Ordnung war zerschlagen und die deutsche Jugendbewegung zerfiel wieder in unzählige kleine Bünde. (…) Zwar gab es auch nach 1945 wieder jugendbewegte Bünde, die sich in der Tradition der Wandervogelbewegung sahen aber sie blieben am Rande der nach dem Kriege einsetzenden Entwicklung. (…) Das, was sie vertraten, nämlich ein deutsches Selbstverständnis, eine ganzheitliche Sicht der Dinge, ein im Jugendbund gelebtes Bekenntnis zu Heimat, Volk und Vaterland, fand nur geringe Resonanz.“18

Zuletzt kommt der Autor auf die so genannten „heimattreuen“ Jugendbünde in der Bundesrepublik zu sprechen. Auch hier endet die Aufzählung der zunächst historisch oder mittlerweile verbotenen Organisationen in einer Erwähnung der noch existierenden Gruppen, die in dieser Tradition stehen. Deren Namen sind mittlerweile bekannt:

„In Westdeustchland formierten sich auch wieder zahlreiche heimattreue Jugendbünde wie der ‚Jugendbund Adler‘, der ‚Bund heimattreuer Jugend‘, die ‚Deutsche Freiheitsjugend‘ und die ‚Wiking-Jugend‘. (…) Der ‚Bund vaterländischer Jugend‘ wurde bereits am 17.7.1962 verboten. Die Arbeit und die Zusammenarbeit unter den Bünden war und ist bis heute durch ständige Führerwechsel, Spaltungen, Abgrenzungen, persönliche Streitigkeiten, Verbandsauflösungen und -neugründungen geprägt. (…) Zu den zahlenmäßig größten Jugendbünden gehören neben der ‚Wiking-Jugend‘ der ebenfalls verbotene ‚Bund vaterländischer Jugend‘ und der ‚Bund heimattreuer Jugend‘, sich sich Ende der achtziger Jahre in den heute noch existierenden ‚Freibund‘ und die ‚Heimattreue deutsche Jugend (HdJ)‘, vormals ‚Odalrunen-BHJ/Heimattreue Jugend‘ aufspaltete. Die Vielzahl der kleineren existierenden Bünde spielen in der Gesamtbetrachtung aufgrund der zahlenmäßigen Bedeutungslosigkeit oder der fehlenden Außenwirkung keine große Rolle.“19

Kampf um die Heimat

Ein wesentlich kürzerer Beitrag von 2006, die wiederum in der Deutschen Stimme erschienen ist, beschreibt eine „Jahreswechsel“-Feier bei der Heimattreuen Deutschen Jugend (HDJ). Die Autorin, Birka Vibeke, beschreibt der NPD-Leserschaft die Feier der mittlerweile verbotenen Organisation als ein Beispiel für die Feiergestaltung jugendbewegter Gruppen. In ihrer Überschrift „Anders leben. Bündische Gruppen gehen anders in neue Jahr.“ wählt sie den Plural, und auch Am Ende des Artikels findet sich die übliche Fußnote mit dem Verweis auf volkstreue Jugendarbeit:

„Wer mehr über die alternativen bündischen Lebensformen erfahren möchte, dem seien die beiden freien Jugendbünde ans Herz gelegt: Heimattreue Jugend e.V. (…) oder Der Freibund, Postfach (…).20

Der Artikel selbst beschriebt den Ablauf eines Winterlagers der HDJ. Dabei darf die Feierstunde am Feuer mit dem „Lied der Deutschen“ nicht fehlen.

„Die lodernden Flammen, die auch in jedem Herzen die Glut neu entfachen, zeigen jedes Jahr erneut, daß Deutschland ist, solange es noch junge Deutsche gibt, die sich den Kampf um die Heimat auf ihre Fahnen geschrieben haben.“21

Einen intellektuelleren Schlag hat Zeitschrift des sächsischen Landesverbandes der NPD-Jugend Junge Nationaldemokraten, Hier & Jetzt. Die Internetpräsenz der Zeitschrift zieren die einleitenden Worte: „Nationalist zu sein heißt, das Besondere höher zu schätzen als das Allgemeine.“ Der Untertitel der Homepage lautet: „radikal rechts lesen“. Auch in diesem NPD-Medium findet sich ein Beitrag über die deutsche Jugendbewegung. Sie hat es der NPD wohl angetan. Der Autor Stephan Jurisch schreibt in der Novemberausgabe 2008 über die Jugendbewegung und die Artamanen, eine völkische Siedlungsbewegung, die aus dem rechtesten Rand der bündischen Jugend hervorgegangen war. Auch hier wird sogleich der Bezug zur Not des Volkes in der Weimarer Republik hergestellt, aus welcher die Jugendbewegung kondensiert sei.

Der Autor stellt eingangs die Frage, wer heute nicht davon träume, wieder eigener Herr auf eigener Scholle zu sein. Er begründet solch völkisch-agrarromantische Bedürfnisse mit der großen Anzahl an Lebensmittelskandalen und der fortschreitenden Globalisierung, die zu einer Selbstentfremdung des Menschen führe. Eine ähnliche Situation habe es ja während der späten Industrialisierung und der Weimarer Republik gegeben. Als historisches Beispiel für eine auch heute aktuelle Alternative führt er die Artamanen ins Feld:

„In den Notzeiten der Weimarer Republik finden wir das Beispiel der deutschen Jugendbewegung und hier genauer der Artamanenbewegung. (…) Die deutsche Jugendbewegung als geistig-kulturelle Erneuerungsbestrebung entwickelte sich maßgeblich im ersten Drittel des zwanzigsten Jahrhunderts und empfand sich als geistie Avantgarde der Gesellschaft. Ihre Mitstreiter sahen sich als Teil einer Bewegung und fanden in ihr eine tiefere und weitergehende Bindung als wir sie in heutigen Jugendorganisationen – oder besser Zusammenrottungen – antreffen.“22

Zur Entstehung der Artamanen berichtet Jurisch:

„Der im Dezember 1915 entstandene Greifenbund und spätere Jungdeutsche Bund hatte sich bereits die Sammlung Siedlungswilliger aus der Jugendbewegung auf die Fahne geschrieben. Dünn besiedelte Gebiete in Ostdeutschland zu beleben und in diesem Zuge die polnischen Erntehelfer zu verdrängen, sollte die politische Aufgabe des Bundes sein (…). Die Artamanen setzten sich zum Ziel: die Zurückdrängung der polnischen Wanderarbeiter und das Auffüllen der leeren Räume und der Grenzprovinzen, die Einleitung der notwendigen Umschaltung der Menschenmassen der Stadt aufs Land, Hebung der Nahrungsmittelproduktion und schließlich die Einleitung einer Siedlungsbewegung, die Schaffung eines Grenzlandbauerntums mit Hilfe besitzlosen süd- und westdeutschen Bauerntums.“23

Unter der Zwischenüberschrift „Und heute?“ schreibt Jurisch weiter, seien die „einstigen Haupteinsatzgebietein den preußischen Provinzen unter Fremdherrschaft gestellt, die Deutschen überwiegend vertrieben.“

Er rät dem Leser, einen der vielen in „Mitteldeutschland“ zum Verkauf stehen Bauernhöfe zu erwerben: „Mit einem ersten Schritt, den viele schon getan haben, gilt es zu beginnen.“

Jurisch mag dabei beispielsweise an die Projekte der so genannten Neo-Artamanen denken, die sich beispielsweise in den Mecklenburgischen Ortschaften Klaber und Koppelow „angesiedelt“ haben. Die Mitglieder dieser „Siedlungsgemeinschaften“ entstammen völkischen Jugendbünden wie dem Freibund – Bund heimattreuer Jugend, der heute nicht mehr bestehenden Niedersächsichen Volkstumsjugend oder den Fahrenden Gesellen – Bund für Deutsches Leben und Wandern, sowie ihrer Schwesterorganisation Deutsch Mädelwanderbund.24

Fazit

Während in Medien, die der Neuen Rechten zuzuordnen sind in Bezug auf die Jugendbewegung häufig die Einflüsse nationalrevolutionärer Denker der Weimarer Republik auf die Bünde ihrer Zeit in den Vordergrund gerückt werden, ist in extrem rechten Zeitschriften, wie den Organen der NPD, eine andere Art der Vereinnahmung der Jugendbewegung für ihre Zwecke anzutreffen. Diese ist wie zu erwarten offener völkisch-nationalistisch und scheut sich auch nicht, die Phase des Nationalsozialismus mit seiner gleichgeschalteten Jugend als Teil der historischen deutschen Jugendbewegung darzustellen.

Gemeinsam ist beiden rechten Strömungen eine Fokussierung auf den völkischen Teil der Jugendbewegung. Dass dieser bereits in der Phase des Wandervogels vor dem ersten Weltkrieg, sowie in der so genannten bündischen Phase in der Zeit der Weimarer Republik zwar eine nicht unbedeutende, wohl aber nicht die Hauptrolle der Jugendbewegung gespielt hat, wird dabei konsequent unterschlagen. Dies hat Sinn und Zweck:

Während die Vorbereitungen für die Feier des 100jährigen Jubiläums des Treffens der „Freideutschen Jugend“ auf dem Hohen Meißner bei Kassel bereits begonnen haben, bemühen sich heute vor allem völkische Gruppen um ein eine Akzeptanz in den Reihen der Bünde, die sich heute in der Tradition der historischen Jugendbewegung sehen. Während die Zeitschriften völkisch-nationalistischer Gruppierungen, die der Innenwirkung dienen, vor allem diese ihre eigenen Wurzeln betonen, wird nach außen um eine Akzeptanz „aller Strömungen“ der Jugendbewegung geworben, die gleichberechtigt nebeneinander existieren können.

Die heute aktiven rechten Jugendbünde betonen im Gegensatz zu den extremistischen Akteuren der NPD gerne die Verfolgung von jugendbewegten während des Nationalsozialismus. Dabei reklamieren sie diesen Teil der Geschichte alibihalber für eigene Zwecke. Die Betreiber des blogs „Bündische Vielfalt“ entblöden sich sogar, die Verfolgung jugendbewegter Gruppen und Einzelpersonen mit der heutigen Kritik an ihren eigenen Umtrieben zu vergleichen. Dass gerade Mitglieder der Deutschen Gildenschaft, die als „Träger“ des blogs angegeben wird, im Nationalsozialismus vermehrt eine steile Karriere gemacht haben, wird hierbei geflissentlich verschwiegen.

Die zumindest ideelle Vereinnahmung der Werte und Geschichte der Jugendbewegung geschieht jedoch auch von extrem rechter Seite, wie dieser Artikel belegen soll. Welche Art von Teilnehmern und Zaungästen bei einer Meißnerfeier 2013 anzutreffen sein wird, bleibt abzuwarten.

Auf Initiativen gegen Neonazis aus den Reihen jugendbewegter Bünde reagieren extrem rechte Publikationsorgane wie die Internetplattform Altermedia zuweilen auch mit offenen Drohungen. So hieß es 2006 in einer Meldung über einen Plakat-Malwettbewerb für Kinder und Jugendliche bei dem Plakate gegen Neonazis angefertigt wurden und der vom Pfadfinderbund Mecklenburg-Vorpommern ausgeschrieben wurde:

„Unter diesem Aspekt ist es sicher kein Vergehen solchen Pfadfindern gegenüber, so man sie denn in freier Wildbahn antrifft, (…), in die politische Auseinandersetzung mit einzubeziehen und zwar auf eine Weise, daß ihnen solche Plakataktionen dauerhaft im Gedächtnis bleiben.“25

 

Quellenangaben:

1Deutsche Stimme 1 / 2006

2hxxp://www.niedersachsen.npd.de/anfragen2/thread.php

3hxxp://www.deutsche-stimme.de/ds/?p=1100

4„Es brennt im deutschen Haus, und wir sind die Feuerwehr“ Gansel, J. W., Deutsche Stimme, 21.10.2008

5ebd.

6hxxp://www.deutsche-stimme.de/Sites/01-02-Wilde-Gesellen.htm Printausgabe vom Januar 2002 abgerufen am 28.10.2004

7ebd.

8Die Jugendbewegung war nicht käuflich, Junge Freiheit, 46/01, 09. November 200, S. 17

9Nerohm: Die letzten Wandervögel. Burg Waldeck und die Nerother. Geschichte einer Jugendbewegung. Zweite, erweiterte Auflage. Deutscher Spurbuchverlag, Baunach 2002

10Junge Freiheit 51/02, 13. Dezember 2002

11Heute: Junge Landsmannschaft Ostdeutschland

12Die deutsche Jugendbewegung. (3) Jugendbewegung im dritten Reich (1933 – 1945), Gallasch, J., Jugend-Wacht Ausgabe 3 / 2003

13ebd.

14ebd.

15ebd.

16ebd.

17Die deutsche Jugendbewegung (4). Volkstreue Jugendbewegung vom Kriegsende bis heute, Gallasch, J., Jugend-Wacht 4 / 2003

18ebd.

19ebd.

20Anders leben. Bündische Gruppen gehen anders in neue Jahr. Vibeke, B., Deutsche Stimme, Ausgabe 1 / 2006

21ebd.

22Jurisch, S., Rückkehr. Die Artamanenbewegung als Beispiel alternativer Lebensgestaltung, Hier&Jetzt Ausgabe 11 / 2008

23ebd.

24Baumgärtner, M., Wrede, J. „Wer trägt die schwarze Fahne dort…“, Braunschweig 2009, S. 118f

25hxxp://de.altermedia.info/general/pfadfinder-gegen-rechts-150506_5733.html abgerufen am 16.7.2009

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