Das Thema extrem rechter Tendenzen unter Jugendlichen und auch in Jugendbünden hat uns schon in der Vergangenheit wiederholt beschäftigt. So fand ich in einer dreißig Jahre alten Ausgabe der ZEITUNG, die mein Bund, die „Deutsche Freischar – Bund der Wandervögel und Pfadfinder“, regelmäßig herausgibt, folgende Einschätzung…Ein Beitrag von Doris „Schna“ Werheid, Deutsche Freischar.
„Im Zeichen der „Tendenzwende“ (…) haben manche mit Sorge beobachtet, daß gerade bei Jugendlichen (…) sich ausgesprochen rechtsextremistische Tendenzen wieder breit machen. Bislang betrifft dies nicht oder kaum die Bünde, wenn man einmal von den natürlich nicht zu übersehenden Gruppen im rechten Spektrum der Bünde absieht, die sich selbst zum Teil ganz gern dazurechnen würden und über die man ja zum Teil auch in Siegfried Schmidt’s „Nachrichtendienst“ regelmäßig was nachlesen kann. Manche formalen Dinge in den Bünden lassen Außenstehende aber leicht auf die Idee kommen, daß hier ein fruchtbares Feld für rechtsextremistische Aktivitäten sein könnte. Und dies sind nicht nur Leute, die rechtsextremistischen Tendenzen grundsätzlich negativ gegenüberstehen – es könnte auch sein, daß manch einer, der selbst in dieser politischen Gegend beheimatet ist, die Bünde als gutes Operationsfeld, um einmal im Jargon dieser Leute zu reden, betrachten könnte. Wir sollten diese Dinge nicht überbewerten, sollten sie aber nicht nur kritisch, sondern auch aufmerksam verfolgen.1
Nach dreißig Jahren so brandaktuell wie heute – immer noch?!
Bündische und Pfadfinder standen und stehen zumindest in Teilen der bundesdeutschen Öffentlichkeit wiederholt im Verdacht, „etwas rechts“, zumindest aber konservativ zu sein. Das mochte, je nach Region oder persönlicher Haltung, den Betrachter wie auch den so „Betrachteten“ erfreuen oder entsetzen. Solches Entsetzen erwuchs mir und meinen Freundinnen und Freunden des Freischar-Ringes in Remscheid aus einer Begebenheit im Jahr 1982. Im Folgenden sei darüber berichtet und darüber, wie schnell man in die falsche Ecke gestellt wird und welche Mühen es kostet, erfolgreich wieder dort herauszukommen.
Der Anlass
Bundeszeitschriften der Freischar wurden zu Werbezwecken in aller Unschuld an interessierte Kinder und Jugendliche verteilt und gelangten so durchaus beabsichtigt auch in die Hände von Eltern. In einem Heft befand sich in der Nachlese eines „zauberischen“ Bundeslagers „Campus Magicus“ (1980) u. a. ein selbstverfasstes Gruselgedicht einer jungen Gastpfadfinderin aus einem befreundeten Bund. In diesem Gedicht trieben der Lageridee gemäß neben Geistern, Zauberern, Hexen, auch „Werwölfe“2 ihr Unwesen. An dieser Stelle wurde eine Mutter stutzig und fand bei der weiteren aufmerksamen Lektüre der Hefte Begriffe wie Bundesführer oder Hortenführer sehr bedenklich. Darin glaubte sie einen autoritär – hierarchischen Aufbau (Führerprinzip) und daraus folgernd rechtsextreme Tendenzen unseres Bundes zu erkennen. Sie unterrichtete umgehend den Jugendwohlfahrtsausschuss (JWA) der Stadt Remscheid, da die Freischar sowohl als Bund, wie auch als lokale Teilgliederung vor Ort als gemeinnützig und besonders förderungswürdig öffentlich anerkannt war.3 Von dort war der Weg in die Öffentlichkeit nicht mehr weit:
„Huldigt Freischar dem Führerprinzip?“ – Kontroverse im Jugendwohlfahrtsausschuss
Die örtliche Tageszeitung schrie es mir zwischen Tau und Tag auf der ersten Seite des Regionalteils entgegen! Noch heute überläuft es mich in Erinnerung daran eiskalt.
Ich fühlte mich persönlich angegriffen und dazu meinen Bund, zu dem ich mich gerade wegen seiner immer wieder gezeigten sozial- und gesellschaftskritischen Haltung vorbehaltlos und gerne bekenne, zutiefst verunglimpft. Turbulente Stunden, Tage, Wochen folgten. Recherchen bei der Zeitung: Wer hat das behauptet? Kontaktierung des Chefredakteurs der Tageszeitung, Formulierung einer Gegendarstellung. Dann folgten Gespräche mit dem Vorsitzenden des JWA unter Beisein des verantwortlichen Journalisten, dem wir diese reißerische Überschrift verdankten. Mit der Frau, die diese Behauptung in die Welt gesetzt hatte, nahm ich zunächst telefonische, dann schriftliche Verbindung auf. Einem zugesagten persönlichen Gespräch entzog sie sich dann aber durch Wohnungswechsel. Es folgten weitere Gespräche im Jugendwohlfahrtsausschuss, in den Ratsfraktionen der Stadt, im Presbyterium der Kirchengemeinde, die uns für unsere Elternabende in der Vergangenheit das Gemeindehaus zur Verfügung gestellt hatte und nun durch diese Anschuldigung zögerlich wurde – und natürlich vor allem intensive Gespräche mit den besorgten Eltern. Nebenbei bemerkt äußerte dabei auch ein älteres Elternpaar Wohlwollen gegenüber der Nazizeit, „…wo doch auch viel Gutes gewesen ist, besonders die HJ und der BDM“!!! – Sie hatten wohl die Freischar ähnlich bewertet!
Bei meinen Bemühungen wirkte es sich sehr positiv aus, dass wir anhand der regelmäßig erscheinenden und auch in der Deutschen Bibliothek in Frankfurt a. M. archivierten Publikationen der Freischar – neben der Bundesschrift ZEITUNG auch das Jungenschaftsorgan „Arbeitsblatt“ – die eindeutige Haltung der Freischar gegen braun-rechte Tendenzen in unserer Gesellschaft zweifelsfrei belegen konnte. Nicht erst unter dem Eindruck der sozialliberalen Koalition und ihrer Politik der „Aussöhnung mit dem Osten“ organisierten Jungmannschaft und Mannschaft der Deutschen Freischar schon ab den 1960er Jahren Seminare gesellschaftspolitischen Inhalts und Fahrten in die sogenannten Ostblockländer, besonders nach Polen. All das fand seinen Niederschlag in Themen- und Sonderheften der vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (in den Jahren z. T. auch etwas anders bezeichnet) finanziell geförderten ZEITUNG. So konnte ich Überzeugungsarbeit leisten und den zu Unrecht erhobenen Vorwurf erfolgreich ausräumen.
Die Freischar, nicht erst durch diesen Vorfall sensibilisiert, arbeitete sich in den 1980er Jahren lange an traditionellen Begriffen wie Bundesthing, Bundeskapitel, Geist des Bundes, regionale Gaue, Horten-, Jungenschafts- und Bundesführer ab. Es stellte sich die Frage, ob man Pimpfe Pimpfe nennen sollte oder besser Kids, durfte man noch einen stilechten Affen tragen oder doch besser dem anatomisch ohnehin günstigeren Traggestellrucksack in schreiendem Farben und gut brennbarem Kunststoff den Vorzug geben? Was ist mit der allgemein getragenen traditionsreichen Kluft, mit manchen Liedern, mit Trommeln??? – In einer Zeit, in der die „Offene Jugendarbeit“ propagiert wurde, muteten manche bündischen Traditionsbestände, das bevorzugte, nicht einsehbare Leben in der freien Natur, die vielleicht so erscheinende antiquierte Kleidung und Ausrüstung besonders merkwürdig und befremdlich an. Das rief eventuell Unverständnis, wenn nicht sogar Ablehnung hervor. Denn das Geschichtswissen der Lehrer, Sozialarbeiter und Journalisten – nicht selten auch der Eltern -, mit denen ich in jener Zeit zu tun hatte, hörte in der Regel bei der nationalsozialistischen Jugendverführung auf. Die lange Geschichte der deutschen Jugendbewegung vor und nach der NS-Diktatur war und ist weithin unbekannt. Am Ende des Meinungsfindungsprozesses stand jedoch auch eine überarbeitete Bundesordnung (Satzung) der Deutschen Freischar, die zwar selbstbewusst auch weiterhin einige „antiquierte“ Begrifflichkeiten „konservierte“, auf deren § 1 ich hier aber gerne verweise, wo es am Ende heißt:
„Die Mitgliedschaft oder Mitarbeit in einer Partei oder Vereinigung, die irgendwelche Formen der Intoleranz, insbesondere Ausländerfeindlichkeit, Fremdenhaß, Rassismus oder Chauvinismus4 verbreitet, ist mit der Mitgliedschaft in der Deutschen Freischar nicht vereinbar.“
Vor 1933 gab es Bünde, die völkisch, nationalistisch und antisemitisch aufgestellt waren, in denen Juden keinen Zutritt fanden und Mitglieder u. U. einen Arierpass vorweisen mussten. Wenn man nun glauben möchte, dass die Schrecklichkeiten des sog. „Dritten Reiches“ solchen Geist für immer aus unserer Gesellschaft oder aus bestimmten Gruppierungen der Jugendbewegung vertrieben hätte, so sieht man sich heute getäuscht. „Der Schoß ist fruchtbar noch, aus dem dies kroch.“ beschreibt treffend ein häufig zitiertes, darum nicht weniger wahres Wort von Bert Brecht die Situation.
In der bereits zitierten „ZEITUNG“ 5/6 1979 der Deutschen Freischar heißt es in einem Beitrag, der der Zeitschrift „S wie Schule“ (herausgegeben vom Kultusministeriums NRW) entnommen war:
„Blind für die Gefahr?
Seit einiger Zeit wird immer deutlicher, daß es wieder eine zunehmend größer werdende Gefahr von rechts gibt, daß viele Unverbesserliche die alte braun-schwarze Ideologie noch nicht abgelegt haben und daß viele junge Leute sich ihnen anschließen – aus Unkenntnis der Vergangenheit, auf Grund eigener ungelöster Probleme oder weil sie von organisierten Gruppen beeinflusst wurden.“
Die Traditionslinie solchen Geistes ist ungebrochen, wird sogar in 100jährigen Jubiläen gefeiert. Zwar wird heute kein Arierpass mehr verlangt und jüdische Mitglieder sind auch nicht mehr zu befürchten – damit wurde ja in deutscher Gründlichkeit „aufgeräumt“ und die jüdischen Neubürger aus der ehemaligen Sowjetunion ficht die deutsche Jugendbewegung mit Sicherheit nicht an. Aber es gibt solche Traditionen dennoch: natürlich „nett, intelligent und witzig“ rückwärts gewandt. Doch das Ziel fest im Blick, mal im Wandervogeloutfit oder auch völlig unauffällig, benebeln sie die heutige Jugendbewegung am rechten Rand oder das, was sich dazu zählt, mit ihrem alt- oder neurechten – wer blickt da noch durch – völkischen Bazillus. Und wenn sich dann der Nebel eines Tages plötzlich hebt, – peng – ist eventuell die von Felix Menzel (Freibund – Bund Heimattreuer Jugend) propagierte „rechte Milieubildung“ gelungen und die Burg der Jugendbewegung in Witzenhausen an der Werra erstrahlt womöglich als neue „Ordensburg der Rechten“. – Dieser Begriff wurde einem PT-Beitrag 2008 entlehnt. Wirkte er damals sehr überzogen, könnte man aus heutiger Sicht dem Schreiber seherische Fähigkeiten zubilligen. Der Bericht vom diesjährigen Kirschenfest auf der Burg weckt jedenfalls ein deutliches Unbehagen.
Die skizzierte Problemlage ist für den bündischen Bereich inzwischen erstmals publizistisch erfasst und analysiert worden. In dem jüngst erschienenen Buch „Wer trägt die schwarze Fahne dort…“ von Maik Baumgärtner und Jesko Wrede, (erschienen bei ARUG, gefördert durch das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend) werden eine Reihe von Bünden und Gruppierungen wegen ihrer Ausrichtung nach rechts und ihren Verbindungen zu alt- und neurechten Personen und Netzwerken kritisiert und dargestellt. Anders als im Falle der Anwürfe gegen die Freischar, liegt hier eine umfassende Recherche im betreffenden Milieu zugrunde. War zunächst nur die „Wiking-Jugend“ als Bewahrer unseliger Ideologien bekannt, so erschließt sich nun ein dichtes Flechtwerk gleichermaßen belasteter Bündchen und Vereinigungen, umgeben von einem Kordon oft prominenter Unterstützer. Die erhobenen Vorwürfe blieben bislang bis auf Kleinigkeiten unwidersprochen. Man sollte meinen, die betroffenen Gruppierungen hätten ein starkes Interesse, ähnlich wie es die Freischar in der Vergangenheit unternahm, die bestehende Kritik auszuräumen. Aber Fehlanzeige. Und da die Belege – auch im eigenen Schrifttum – eindeutig sind, verlegt man sich lieber auf nebulöse Nebenschauplätze:
Ob sich bei einer geschilderten Veranstaltung an die langen Röcke der Frauen verängstigte Kinder klammern oder sie selbständig das Gelände erforschten.
Ob die kleine Kornblume nur die ewig unschuldige Blaue Blume der Romantik oder auch das über 100 Jahre alte Zeichen antisemitischer und/oder brauner Bewegungen darstellt.
Ob der Überbündische Kreis -ÜK- ein harmloses Treffen singender, lärmender Bündischer oder ein festgefügter Kreis von extrem rechten, Blut-und-Boden-Ideologisten und chauvinistischen Religionsanhängern ist.
Ob die Burgfeste ausschließlich als eine Reminiszenz an Ritterromantik und Tanz gedacht sind, oder eher ein europäischer Referentenreigen von Holocaustleugnern und Geschichtsrevisionisten ist.
Ob „völkisch“ nichts anderes als „volkstümlich“ bedeutet, oder eher eine eingedeutschte Bezeichnung für „national“ im Sinne eines auf Rasse basierenden Volksbegriffs in antisemitischen, rassistischen Bewegungen darstellt.
Ob des Spöttinger Friedhofs Pflege in Landsberg/Lech lediglich der Liebe zu Baum und Blume entspringt oder der Verehrung eines Wallfahrtsortes von Alt-und Neunazis für hingerichtete Nazigrößen, KZ-Ärzte und Massenmörder – deren Verurteilungen man als „Siegerjustiz“ anzweifelt – in unmittelbarer Nachbarschaft des größten Konzentrationslagerkomplexes im Nationalsozialismus: „Kaufering“ mit elf Außenkommandos.
Ob……
Ob……
Das ließe sich beliebig fortsetzen.
Dubioserweise tut sich auch hier mit Entlastungsversuchen ganz stark der „Freundeskreis“ hervor, während die Betroffenen selbst entweder schweigen oder die Kritiker als Linksextremisten und Faschisten diffamieren. Letzteres ist eine alte Strategie mit langem Zopf! Dabei wird ignoriert, dass sich in der gesamten Gesellschaft der Bundesrepublik, in allen Bundesländern breite „Bündnisse gegen Rechts“ bilden, die sich, getragen von Bürgern, Prominenten aus Kultur, Wissenschaft und Politik, von Kirchen und Sportvereinen, gefördert durch Bund, Land und Kommunen mächtig, intelligent und phantasievoll gegen rechts – nicht gegen links – stellen. Gefahr erkannt!
Nicht die Autoren des oben genannten Buches, nicht ARUG, nicht das fördernde und von einer CDU-Politikerin geleitete Bundesministerium und nicht die bündischen Kritiker schaden – wie vielfach behauptet wird – der Jugendbewegung. Nein, die kritisierten „Bünde“ und Vereinigungen, sowie deren Unterstützer schaden dem Ansehen der Jugendbewegung nach innen und vor allem nach außen und bedienen die alten Vorurteile. Darüber können weder „bündische Vielfalt“ mit unterschiedlicher Braunschattierung und mit teilweise frisierten Berichten, noch proklamierte Erklärungshoheit von Demokratie- und Konservativismusverständnis, noch ein eilends initiierter jiddischer Musikabend den aufgeklärten Bündischen hinwegtäuschen. – Und mal ehrlich, wer möchte mit den Ewiggestrigen schon eines Geistes und Sinnes sein?
Doris – schna – Werheid, Deutsche Freischar
1 Auszug aus dem Vorwort des ehemaligen Bundesführers Gerhart Schöll in: ZEITUNG, Heft 5/6 1979. Thema der Ausgabe war „ Blind für die Gefahr?“
2 Lexikalische Darstellungen behandeln die verschiedenen, schon aus geschichtlicher Zeit überlieferten mythologischen Werwolferzählungen, auch die erheiternde Betrachtung Christian Morgensterns „Der Werwolf“ und daneben auch den „Werwolf“ als Freischärler-(Partisanen-)bewegung am Ende des 3. Reiches zur „Reichsverteidigung“.
3 Pikanter weise unterhielt zur gleichen Zeit in Remscheid unerkannt der „Bund Heimattreuer Jugend“ (BHJ), heute „Der Freibund“ seine „Leitstelle West“ im Hause des mehrfach verurteilten Holocaustleugners F.G. Kögel, dessen Söhne Führungspositionen im „BHJ“ innehatten
4 In des Wortes ureigener Bedeutung