Vielfalt auf Burg Ludwigstein?

Ludwigstein_BriefmarkeÜber die Frage ob Gruppen wie die Deutsche Gildenschaft, der Freibund, der Sturmvogel, die Fahrenden Gesellen oder der Deutsche Mädelwanderbund auf der Burg Ludwigstein akzeptiert werden können, wird seit geraumer Zeit in der bündischen Szene heftig gestritten. Die Burg Ludwigstein vertritt dabei eine Vorstellung von „Vielfalt“ und „Offenheit“ – die letztlich dazu führt, dass man diesen Gruppen einräumt auf der Burg Ludwigstein zu wirken.

Wie diese Vielfalt nach Ansicht von Sven Reiß (rosé) (Aktivensprecher der Deutschen Hochschulgilde) aussehen kann, hat er jüngst auf dem Internetblog „bündische-vielfalt“ dargelegt. In dem dort erschienenen Artikel wiederholte und bestärkte er seine wenige Wochen vorher bereits in den „Blättern der Deutschen Gildenschaft“ (49. Jg. 2007, Heft 2, S.42) getätigte Aussage:

„Wir denken an die 1920er Jahre, als junge Menschen aus allen Richtungen der deutschen Jugendbewegung die Burg als großes Gemeinschaftswerk wieder aufbauten. Die Gemeinschaftsarbeit auf der Burg zeigte, daß der Bruch im Volk in verschiedenste weltanschauliche und politische Gruppierungen von der Jugendbewegung überwunden werden konnte: gemeinsam arbeiteten Völkische zusammen mit Sozialisten, schufteten Arbeiter mit Handwerkern und Studenten, Mitglieder aus religiösen Pfadfindern zusammen mit Mitgliedern heidnischer Gemeinschaften. Sie alle einte das gemeinsame jugendbewegte Band, gemeinsame Ziele und gemeinschaftliches Schaffen. Auf dem Ludwigstein galt der Mensch und nicht seine Gesinnung. Diese Haltung findet sich heute wieder auf der Burg. Sie wird zusehends wieder zum gemeinsamen Zentrum der Bünde, es findet Austausch statt und Leute lernen sich kennen, die sich sonst vielleicht nie begegnet wären.“

Er schreibt, dass er diese Zeilen 2007, „noch voller Begeisterung der letzten gemeinsamen Bauhütten auf der Burg Ludwigstein und dem Erfolg des dortigen Raumpatenprojektes.“ verfasst hätte und wundert und beklagt sich darüber, dass seine damalige Aussage nun in dem Buch von Maik Baumgärtner und Jesko Wrede (Wer trägt die schwarze Fahne dort …) „als Anprangerung gegen mich“ Verwendung gefunden hätte. Besonders, weil dieses Buch schließlich von einem Bundesprojekt mit dem Titel „Vielfalt tut gut. Jugend für Vielfalt, Toleranz und Demokratie“ gefördert worden sei.

Er relativiert zwar seine damalige Aussage mit den Worten „Natürlich darf man die 1920er Jahre nicht mit der Gegenwart gleichsetzen: Weder toben auf den Straßen blutige Kämpfe zwischen extremistischen Kräften, noch ist unser demokratischer Rechtsstaat in ernsthafter Gefahr, von extremistischen Gruppierungen eliminiert zu werden.“, letztlich bleibt er jedoch dabei:

Die 1920er Jahre auf der Burg Ludwigstein stellen sein Idealbild von „Jugendbewegung heute“ dar:

„Doch zeigt nicht gerade dies, zu welcher Größe jugendbewegte Gruppen und Persönlichkeiten zu ihrer Zeit fähig waren, welch gemeinsamer Idealismus über religiöse und weltanschauliche Grenzen hinweg die Bünde einte? Vielleicht wäre die Welt eine andere geworden, hätten sich in den 1920er Jahre mehr Menschen dem Beispiel einer jugendbewegten Toleranz verschrieben.“

Dass, was er an diesem Modell exemplarisch und für die heutige Zeit vorbildlich findet, ist der Gemeinschaftsgedanke der Jugendbewegung. Dieser Gedanke hätte es als verbindendes Band geschafft, die tiefen Brüche, die sich vor dem zweiten Weltkrieg innerhalb der Gesellschaft bereits abzeichneten, zu kitten. Es entsteht der Eindruck, dass wenn nur diese besondere Einstellung der Jugendbewegung von damals als Modell für eine ganze Gesellschaft gedient hätte, es nicht zum Ausbruch des zweiten Weltkriegs gekommen wäre – ja vielleicht „die Welt eine andere geworden wäre.“

Die „Vorbildlichkeit von damals“ besteht für Reiß darin, dass „gegenseitiges Kennenlernen, Vorurteile abbauen, Toleranz stärken“ im Vordergrund jugendbewegter Begegnungen auf der Burg Ludwigstein gestanden hätte und damals der Versuch gemacht worden sei „totalitärem Gedankengut, sei es weltanschaulich, religiöser oder politischer Natur“ Einhalt zu gebieten und durch ein deutliches JA zur Vielfalt“ den Nährboden zu entziehen.

Dass, was sich bei dem ersten Lesen gut anhört, weil vor allem die positiven Schlagwörter „Vielfalt, Toleranz, Gemeinschaft, Abbau von Vorurteilen“ etc. auftauchen, gibt jedoch zu denken.

Von welcher „Vielfalt“ spricht Sven Reiß?

Er spricht von der „Vielfalt der 20er Jahre“: In den 1920er Jahren war die Deutsche Jugendbewegung bereits in viele, unterschiedliche Gruppen und Grüppchen gespalten, die sich zunehmend ideologisch auseinander bewegten. Einige davon vertraten extreme, sektiererische Ansichten. Die Bünde der damaligen Jugendbewegung spiegelten symptomatisch das wider, was auch in der restlichen Gesellschaft an Differenzen existierte. Vor allem vertraten einige der Gruppen nicht nur eine antidemokratische, sondern auch eine völkische und antisemitische Gesinnung. Von einer „Überwindung“ dieser Differenzen, nicht nur im Geiste der Jugendbewegung, kann daher keine Rede sein: Viele antidemokratisch gesinnte jugendbewegte Gruppen der damaligen Zeit waren Wegbereiter der weiteren Entwicklungen. Sie haben sich eben nicht gegen antidemokratische Strömungen gestellt und versucht diesen Einhalt zu gebieten, sondern waren durch ihre „jugendbewegte Offenheit“ der Nährboden für eine unheilvolle Saat. Deutschnationale und völkische Gruppen gliederten sich vielfach in die Organisationen der Nationalsozialisten ein. Andere Gruppen wurden letztlich verboten, lösten sich selbst auf, viele ihrer Vertreter wurden verfolgt oder getötet.

Nun soll natürlich nicht die Jugendbewegung der 20er Jahre als alleiniger Wegbereiter der folgenden Jahre dargestellt werden Es geht auch nicht darum die Jugendbewegung dieser Zeit unter einen allumfassenden Ideologieverdacht zu stellen. Aber gerade die naive Blauäugigkeit gegenüber diesen völkischen Jugendbünden der Weimarer Zeit heute als ein schillerndes Beispiel für die Weitsichtigkeit jugendbewegten Geistes darlegen zu wollen, das ist schon weit mehr als fragwürdig.

Die inhaltliche Kritiklosigkeit gegenüber solchem ideologischen Übereifer zu Gunsten eines elitären, bedingungslosen und falsch verstandenen „Wir-Gefühls“ hat der Jugendbewegung jedenfalls in den Folgejahren und auch bis heute sicherlich deutlich mehr geschadet, als dass es geeignet wäre für uns heute die Weitsichtig- und Fortschrittlichkeit der Jugendbewegung jener Zeit zu illustrieren.

Wenn nun also mit dem Bild der 20er Jahre eine Idealvorstellung für die heutige Zeit verbunden wird: Was würde das bedeuteten, wie sähe dieses Idealbild aus?

Es würde bedeuten, dass auch heute wieder antidemokratische, völkische, antisemitische Gruppen Teil der Jugendbewegung sein könnten? Dass es auch heute akzeptabel wäre, wenn wieder Bünde wie z.B. die völkischen „Geusen“, oder der „Wandervogel Völkischer Bund“ Teil der Jugendbewegung wären? Dass die allgemeine antidemokratische Haltung vieler Bünde der Vorkriegszeit als Vorbild dient? Wozu das „historische Experiment“ der 20er Jahre geführt hat, ist hinlänglich bekannt.

Der Ruf nach dieser Art von „Vielfalt“ mutet bedenklich an. Vor allem auch, weil sie von dem Aktivensprecher der Deutschen Gildenschaft hervorgebracht wurde, einer Organisation die in ihrer Historie völkisch geprägt war und in der jüngeren Vergangenheit zu ihrer Nähe zu neu-rechtem Gedankengut auffiel.Dies verdeutlicht ein internes Schreiben von Sven Reiß an die Göttinger Gilde der Deutschen Gildenschaft vom 4. April 2009 in dem es um den Umgang mit dem damaligen NPD-Bundesvorstandskandidaten Andreas Molau innerhalb der Gildenschaft geht.

Es drängt sich daher der Eindruck auf, dass mit „Vielfalt“ eine andere Vielfalt gemeint ist:

Dieser andere Ansatz von „Vielfalt“ scheint mit völkischem Gedankengut zu korrespondieren. „Volksgemeinschaft“ war bereits um 1900 ein häufig gebrauchter Begriff. Als Gegenbild zur modernen, von Konflikten und sozialen Gegensätzen geprägten Gesellschaft war er für verschiedene politische Gruppierungen – besonders für konservative, aber auch liberale, nationalbolschewistische und christliche Bewegungen – attraktiv. Das hier zugrunde liegende völkische Denken war tragender Konsens und bestimmend für die nach Armin Mohler so benannte „Konservative Revolution“, bestehend aus Völkischer Bewegung, Jungkonservativen, Nationalrevolutionären, Landvolkbewegung und Jugendbewegung (Bündische). In der romantisch geprägten Jugendbewegung wurde die Volksgemeinschaft als Ideal der künftigen Gesellschaft propagiert. Gegen die vermeintlich anonyme, von ökonomischen Nutzenüberlegungen, egoistischem Individualismus und Parteienstreit (das Parlament galt als Schwatzbude) bestimmte „Gesellschaft“, sollte eine „wahre demokratische Gemeinschaft“ des Volkes verwirklicht werden.

Wenn Sven Reiß auf dem Internetblog www.buendische-vielfalt.de ein historisches Dokument aus den zwanziger Jahren als Vorlage für seine heutigen Vielfaltsvorstellungen verwendet und die in diesem Dokument aufgelisteten Bünde in überwiegender Mehrheit eine antidemokratische, meist auch völkische und antisemitische Grundhaltung einte, dann liegt die Vermutung nahe, dass Sven Reiß mit dem Chiffre „Vielfalt“ eine andere Vielfalt, nämlich die „des eigenen Volkes“ meint. Eine Volksideologie, die davon ausging, dass das „eigene Volk“ einer Bedrohung von innen und außen ausgesetzt ist: nicht nur durch die Anwesenheit von ‘Volksfremden’ in der Gesellschaft, sondern auch durch innere ‘Volksschädlinge’, die die Einheit und Gleichheit (im vorliegenden Fall der „Jugendbewegung“) in Frage stellen. Das Demokratieverständnis im Volksgemeinschaftsdiskurs ist ausgrenzend, es bezieht sich auf eine „Volks-Herrschaft“, die nichts mit freiheitlicher Demokratie und Sicherung von Minderheitsrechten, Rede- und Versammlungsfreiheiten o. ä. zu tun hat, sondern darauf, dass das „Volk“ nicht fremd beherrscht werden soll – von „den anderen“ oder „denen da oben“.

Historische Konzepte von „Volksgemeinschaft“ schlossen immer auch den linken Flügel des politischen Spektrums mit ein. Gerade das Zusammenbringen unterschiedlicher, zum Teil divergierender sozialer Milieus und Interessen, war das Ziel des völkischen Nationalismus. Die Grundlage war ein Verständnis von Nation, die auf einem einheitlichen Volk basierte, das eine gemeinsame Abstammungsgeschichte hat. Innerhalb dieser Einheit ist Demokratie durchaus möglich. Es widerspricht sich nicht, wenn sich Sven Reiß’ und andere kritisierte Bünde auf die Demokratie als Referenzrahmen ihrer politischen Ansichten berufen. Nur scheint es eine Demokratie zu sein, die innerhalb einer Volksgemeinschaft ausgeübt wird. Im Rahmen einer langfristig angestrebten Milieubildung scheint es für Gruppen wie die Deutsche Hochschulgilde auch keineswegs problematisch, wenn zunächst andere, mit ihren Auffassungen differierende Gruppen, auf der Burg anwesend sind, wie z.B. „die Falken“ (Sozialistische Jugend Deutschlands – Die Falken. Ein heute eher SPD-naher Jugendverband). Denn es geht ihr momentan ja darum, überhaupt im demokratischen und jugendbewegten Spektrum anerkannt und akzeptiert zu werden.

Zunächst scheint es darum zu gehen, eine generelle Akzeptanz für eigene Ansichten zu schaffen. „Vielfalt“ bedeutet für diese Gruppen eher, selbst nicht von dem Wirkungsrahmen „Jugendbewegung“ ausgeschlossen zu werden. Diese Vermutung legt auch das bereits zitierte Schreiben Sven Reiß’ zum Ausschluss Andreas Molaus aus der Deutschen Hochschulgilde nahe. Der Ausschluss scheint nur vollzogen worden zu sein, um nicht die Einflussmöglichkeiten der Deutschen Hochschulgilde auf der Burg Ludwigstein zu verspielen. Das Problem Sven Reiß’ mit Andreas Molau bestand, wie dieses Dokument belegt, keineswegs in dessen klar rechtsextremistischen Einstellungen, sondern eher in der Tatsache, dass dessen Aktivitäten innerhalb der NPD (jetzt DVU) einem weiteren Wirken der Hochschulgilde im Wirkungsrahmen „Jugendbewegung“ und der Gewinnung neuer Mitglieder für die Gilde im Wege standen. Ansonsten hätte schon wesentlich früher ein Ausschluss Molaus vollzogen werden können. Dies geschah jedoch erst aufgrund der zunehmenden Kritik.

U. Mösenfechtel

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