Über „kommunikative Konventionen“ und „heimattreue Haudegen“ – Ein Gespräch mit Hendrik „Erny“ Pletz vom DPBM

Screenshot der Internetseite des "DPBM"Das folgende Interview mit dem Bundesreferenten für Öffentlichkeitsarbeit des „Deutschen Pfadfinderbund Mosaik“ (DPBM), Hendrik „Erny“ Pletz, wurde per E-Mail geführt und wird hier ungekürzt wiedergegeben. Der DPBM zeichnet sich nicht nur durch eine gute und transparente Öffentlichkeitsarbeit, sondern auch durch einen reflektierten und offenen Umgang mit der eigenen Bundesgeschichte aus.

Welche Werte versuchen Sie den Kindern und Jugendlichen im DPBM zu vermitteln?

Das ist schwierig zu sagen. Natürlich sind da zuerst unsere zehn Pfadfinderregeln. Aber das ist natürlich leichter gesagt als getan. Schließlich liest man sich diese nicht jeden Tag durch und meditiert auch nicht groß über sie. Das was in einer Gruppe zählt, ist der Umgang miteinander. Und hier würde ich dann Freundschaft, Vertrauen, Rücksicht und Respekt als die zentralen Pfeiler unsere Arbeit sehen. Sollten diese Punkte nicht erfüllt werden, wird weder eine harmonische Gruppe entstehen, noch eine Fahrt funktionieren können. Auch der Gruppenführer kann sich hier nicht ausnehmen. Ganz im Gegenteil. Vorleben ist die einzig richtige Methode, Werte vermitteln zu können. Die Gruppe ist damit sowohl Mittel als auch Zweck unserer Arbeit. Die Lehre vom gegenseitigen Respekt bleibt eine leere Floskel, wenn sie nicht durch die Gruppe gelebt und gegenseitig gelehrt wird. Es geht also nicht um das Lehren einzelner Tugenden, sondern um das gemeinsame Erringen einer Gruppe und damit auch einer „tugendhaften“ Gruppenkultur. Dabei darf aber nicht die Gruppe abstrakt über allem stehen, sondern nur als Produkt und Medium eines gemeinsamen Lebens und Erlebens verstanden werden. Dies alles hat dann schließlich auch zur Folge, dass das Bündische und Pfadfinderische nicht als etwas ganz anderes verstanden werden kann. Unsere Werte gehen mit einer aufgeklärten und emanzipierten Zivilgesellschaft, wie sie hierzulande gerne gepredigt wird d’accord. Das wir diesem Ideal dabei etwas näher kommen, ist eine Hoffnung, die unser Handeln beflügelt.

Welche Rolle spielen dabei demokratische Entscheidungsprozesse ?

Stammes-, Ring- und Bundesführungen werden bei uns grundsätzlich gewählt. Dabei praktizieren wir allerdings keine Basisdemokratie, sondern eine Wahl über Delegierte. Dies ist aber mehr einer Pragmatik geschuldet, als einem Willen zur elitären Ausgrenzung. Der Bundeskanzler wird ja schließlich auch nicht vom Volk direkt, sondern vom Parlament gewählt. Auch Aufstellen darf sich prinzipiell jeder und jede. Was die alltägliche Arbeit in den Gruppen angeht, so fehlt mir da selbstredend der Einblick. So wie ich es aber immer persönlich erlebt habe, werden die Hierarchien doch immer sehr flach gehalten. Ich kann mich nicht erinnern, dass mich mein Sippenführer jemals zur Unterordnung gezwungen hat. Auch wurden in den von mir geführten Gruppen immer das freundschaftliche Gespräch und die gleichberechtigte Diskussion gesucht. Das ich dann mal auf Fahrt das Wort an mich gerissen habe, ist da kein Widerspruch. Schließlich geht es immer auch darum, heil aus Situationen raus zukommen. Und so muss halt manchmal die Bitte um mehr Schlaf und mehr Pausen von einem ignoriert werden, wenn es darum geht, Lebensmittel im noch weit entfernten Ort einzukaufen. Ich denke, dass Erfahrung und Kompetenz die einzigen legitimen Beweggründe für einen Gruppenführer sein können, seine Autorität durchzusetzen.

Welche Bedeutung spielt Gender Mainstreaming in Ihrer Jugendarbeit?

In unserem Bund sind primär alle denkbaren Geschlechter willkommen. In den einzelnen Gruppen wird das aber unterschiedlich praktiziert. So gibt es reine Jungen- und Mädchenstämme und Stämme die zwar an sich gemischt aber wieder geschlechtlich differenziert sind, sowie Stämme, wo auf allen Ebenen ein Miteinander herrscht. Ich persönlich, bin in letzterem aufgewachsen. Was die ideale Stammesform ist, darüber wird eher spaßig gestritten. Unser Bund besteht aus kulturell sehr unterschiedlichen und historisch gewachsenen Stämmen. Jeder hat seine eigene und nicht selten schon weit über dreißig Jahre dauernde Geschichte, so dass es falsch und respektlos wäre eine Strukturreform von oben nach unten durchzusetzen. Grundsätzlich sind bei uns aber die Bundes- und Ringführungen (der Ring ist bei uns eine Zwischenstufe zwischen Stämmen und Bund) gemischt geschlechtlich. Die aktuelle Bundesführung incl. ihrer Referent/innen besteht aus 4 Frauen und 4 Männern. Auch sind alle Veranstaltungen immer für alle Geschlechter offen. Wäre das nicht der Fall, würde es nicht nur von meiner Seite, sondern auch vom ganzen restlichen Bund Protest geben.

Spielen im Alltag des DPBM Begriffe wie Volk und Heimat eine besondere Rolle?

Ich müsste mich schon sehr anstrengen, um einen Kontext zu erfinden, in dem diese Begriffe eine Rolle spielen könnten. Die Antwort ist also ein klares: Nein. Zwar tragen wir in unserem Bundesnamen unsere geografische Herkunft, aber das ist mehr der Internationalität der Pfadfinderbewegung geschuldet, als einer völkischen Imagination. Es gibt auf der ganzen Welt Pfadfinder und alle tragen in ihrem Namen ihr Herkunftsland. Unser vollständiger Bundesname ist demnach durch kommunikative Konventionen und nicht durch weltanschauliche Selbstverortung geprägt.

Nun zeichnet sich Ihr Bund durch eine wechselvolle Geschichte aus, können Sie uns etwas zur Entwicklung des DPBM erzählen?

Unser Bund hat 1988 eine der wohl radikalsten Reformen vollzogen, die mir in der Geschichte der deutschen Jugendbewegung (und allem was wir damit assoziieren) bekannt ist. Wir gaben uns nicht nur eine neue Verfassung, sondern auch einen neuen Namen und ein neues Zeichen. Diese richtige und auch aus heutiger Sicht so selbstverständliche Einsicht brachte uns zwar auch ein paar Austritte ein, hielt uns aber nicht davon ab den alten, umstrittenen und alles andere als zeitgemäßen Namen „DPB Westmark“ durch den heutigen DPB Mosaik einzutauschen. Das gleiche galt für das Bundesabzeichen. Das sogenannte „Schachbrett“* ist seitdem Geschichte. Gleichzeitig muss auch gesagt werden, dass dieser Schritt über die Bundesgrenzen hinaus sehr positiv aufgefasst wurde. Die erwähnten Austritte wurden bei weitem mit Eintritten kompensiert. Mehrere Gruppen aus Süddeutschland sahen auf Grund der Entwicklung in unserem Bund eine für sie sinnvoll scheinende Zukunft und schlossen sich uns an.

Worin unterscheidet sich der DPBM Ihrer Meinung nach von völkischen oder neurechten Gruppen?

Wir verstehen uns als ein Bund, der sowohl von der internationalen Pfadfinderbewegung, als auch von der deutschen Jugendbewegung geprägt ist. Bei uns herrscht eine Gemengelage dieser Traditionen, welche sich den klaren Zuweisungen scoutistisch vs. bündisch entzieht. Und nicht nur das: in jedem Stamm und manchmal sogar in jeder Sippe sieht diese Gemengelage anders aus. Daher auch unser Bundesname „Mosaik“. Wir besitzen weder eine niedergeschriebene Leitkultur, noch einen historischen Vorbildbund, an dem wir uns ständig zu messen haben. Mag dieser Mangel an präformierender Ideologie auch oft Konflikte auslösen – erst im letzten Herbst hatten wir eine große Diskussion mit allen Stammesführungen über das „Wie und Was“ einer Bundeskultur – so scheint mir doch jeder Versuch einer Aufhebung dieses Mangels ein Schritt in die falsche Richtung. Ich würde es so formulieren wollen: Unser Bund ist durch ein Werden und nicht durch ein Sein geprägt. Und dies ist, wenn ich so weit ausholen darf, auch das Herz der Jugendbewegung. Ich würde sogar wagen zu sagen, dass wir mit dieser Verweigerung jugendbewegter sind, als jeder sich ‚authentisch’ gebende Wandervogelbund. Verfolgt man die Geschichte der deutschen Jugendbewegung in der Weimarer Republik, so ist diese Geschichte ja weniger geprägt durch Konsens als durch Dissens. Die Idee der Jugendbewegung ist also nicht in starren Ausdrucksformen zu suchen, sondern im historischen Prozess selbst: Im immer wieder neu erfinden bzw. im Selbsterringen, wie es Tusk im „Gespannten Bogen“ formulierte.

Aber worin unterscheidet sich der DPBM denn nun konkret von einer Gruppe wie z.B. dem „Freibund – Bund Heimattreuer Jugend“?

Zuerst muss ich sagen, dass ich mich kaum mit diesem Bund auskenne. Er interessiert mich auch nicht sonderlich, dafür ist meine Zeit mir einfach zu schade. Ich würde daher gerne diese Frage etwas umformulieren bzw. anders beantworten, wenn ich auch damit vielen wanderbevogelten Kolleginnen und Kollegen auf den Schlips, respektive Halstuch und Barett trete. Was mich nämlich an vielen auf Burg Ludwigstein und sonstwo rumgeisternden Gruppen ärgert, ist ihre Nostalgie; man könnte auch sagen Rückwärtsgewandtheit. Hier geht es nicht mehr um das Erkämpfen eines jugendgerechten Freiraums, sondern nur noch um ein Einbalsamieren vergangener Ausdrucksformen. Es wird nicht erkannt, dass diese zelebrierten Formen einem vergangenen Kampf gegen ebenso vergangene gesellschaftliche Restriktionen entstammen. Heute gibt es aber andere Restriktionen, man denke nur an die Ökonomisierung der Jugend und den Praktika- und Volontariats-Fetisch, dem ein anderer Kampf mit zeitgenössischen Formen entgegengestellt werden muss. So gesehen war die Jugendbewegung immer ein politisches Projekt, welches aber immer die Zukunft und nicht die Vergangenheit vor Augen hatte. Haben wir also nur das Bewahren von Vergangenem zum Ziel, so schließen wir damit an die falschen und fatalen Traditionslinien an, die uns die historische Jugendbewegung anbietet. Denn auch diese, ganz Kind seiner Zeit, hatte rückwärtsgewandte Elemente. Nicht wenige Gruppen verschrieben sich einer romantischen und national-konservativen Sehnsucht nach Heimat, nationaler Stärke und den urdeutschen Wurzeln germanischer Mythologie. Der DPBM unterscheidet sich also durch eine doppelte Zukunftsgewandtheit von Gruppen wie dem Freibund. Weder haben wir ein Konservieren bündischer ‚Urformen’ zum Ziel, noch die damit verbundenen deutschtümelnden Bedeutungsfragmente.

Welche Gefahr sehen Sie in neurechten und völkischen Gruppen für Ihre eigene Arbeit und die Jugendbewegung im Allgemeinen?

Ich denke, man muss da zwei Sachen differenzieren. Erstens auf der Ebene eines öffentlichkeitswirksamen Bildes. Das Bild von bündischen Gruppen und besonders von Pfadfindergruppen ist in der öffentlichen Wahrnehmung ja eher bescheiden. Wächst man beispielsweise bei den Pfadfindern auf, so muss man sich ständig in der Schule und im Freundeskreis rechtfertigen. Etwas uncooleres als Pfadfinder sein gibt es wohl kaum. Das Beste sind da noch Vorurteile, von wegen ‚Jeden Tag eine gute Tat’ und „Omas über die Straße bringen“. Aber dabei bleibt es ja nicht. So willkürlich für uns der HJ-Vergleich zwar sicherlich scheinen mag, so offensichtlich liegt er wohl doch auf der Zunge der öffentlichen Meinung; jedenfalls gemessen an meiner subjektiven Wahrnehmung. Und hier kommen diese Gruppen dann ins Spiel. Es bedarf nur ein negatives Auftreten dieser in der Presse und wir alle sind einem Berg von Vorwürfen ausgesetzt. Die von uns allen täglich praktizierten, mühseligen Abbauversuche von Vorurteilen, brechen unmittelbar wie ein Kartenhaus in sich zusammen und werden erdrückt von einer ‚Imagekampagne’ einer Minderheit. Und hier würde ich auch die konkrete Gefahr von einem Auftreten solcher Gruppen auf dem bevorstehenden Meißner-Jubiläum (100 Jahre deutsche Jugendbewegung im Jahr 2013) sehen. Wir brauchen uns nicht vormachen, dass wir dieses Jubiläum ganz unter uns zelebrieren können. Das wollen wir wahrscheinlich auch nicht, immerhin ist es eine riesige Chance, bündische Gruppen wieder positiv ins Blickfeld der Öffentlichkeit rücken zu können. Aber eben auch ein Risiko. Die Presse wird nur darauf warten, ihre Vorurteile bestätigt zu bekommen. Es bedarf nur eines dümmlichen Interviews mit so einem heimattreuen Haudegen und schon werden wir alle wie die Trottel dastehen.

Ist das Ihre einzige Befürchtung, mit diesen Gruppen gleichgesetzt zu werden?

Nein. Die andere Gefahr allerdings scheint mir tiefgreifender, subtiler und somit auch problematischer. Es ist diese Anziehungskraft dieser Gruppen auf den naiven Pfadfinder. Natürlich auch auf andere Gruppen bündischer Prägung, aber die Erfahrung lehrt, dass es gerade Pfadfinder sind, die zu anderen Bünden konvertieren. Hierfür müsste sich mal eine Schar aus den unterschiedlichen Pfadfinderbünden zusammensetzen und diskutieren, warum die Anziehungskraft bei Pfadfinderbünden so immens abnimmt, wenn der jeweilige Pfadfinder die Volljährigkeit erreicht. Vielleicht kann man so etwas auf dem Meißner 2013 praktizieren. Ganz genauso wie ich es zuvor über die nostalgischen Wandervogelbünde gesagt habe, liegt die Sache hier. Viele Bündische und Pfadfinder wollen nicht mehr als ein wenig Lagerfeuerromantik, ein paar zackige Lieder und rauen Männergesang. Dazu ein paar knackige Lederhosen, ein gut gepackter Tornister und ein paar bunte Bänder am Klampfenkopf und schon sind alle zufrieden. Dies bieten diese Gruppen. Sie bieten diese Gegenwelt und die Utopie, dass alles auch ganz anders und ganz authentisch sein könnte. Das diese Utopie aber gerade auch von den Nationalsozialisten hochgehalten wurde, interessiert dabei keinen. Und so ist es eben auch kein Zufall, dass gerade im rechten Flügel der Gesellschaft hohes Interesse besteht, sich bündische Kultur zu Nutze zu machen. Eine wichtige Aufgabe muss es deshalb immer für uns sein, unsere eigene Geschichte kritisch zu hinterfragen und gegen jegliche Form der Geschichtsverklärung anzukämpfen. Nur so kann die Anziehungskraft dieser Gruppen gebannt werden. Dies heißt natürlich nicht, dass ich grundsätzlich gegen alle Formen bündischer Rituale bzw. Ästhetik bin. Fahrt, Lagerfeuer, Gesang und meinetwegen auch Tornister und Lederhose sind wichtige Bestandteile im Repertoire bündischer Ausdrucksformen. Doch muss man eben immer genau wissen, was man da macht und wie man es macht. Und zu sagen, dass haben wir schon immer so gemacht, ist ein Argument, dass ich nur in der Küche und der Frage nach dem richtigen Rezept bestechend finde. Wenn wir doch alle darin übereinstimmen, dass das Bündische mehr ist, als die Summe seiner sichtbaren Ausdrucksformen, so verwundert es doch, dass einige Gruppen mehr den Anschein eines überernsten Trachtenvereins geben. Ich denke, solange die Gruppen auf Fahrt gehen, das Jetzt genießen und Lieder singen, wird das Bündische immer weiter leben. Dafür brauchen wir weder so zu tun, als wären wir hundert Jahre früher geboren, noch müssen wir ständig von Fahnen, Gräben und Blut singen. Und so heißt es auch in einer unserer zentralen Bundesschriften: „Unsere Fahrt ist nie zu Ende gebracht, unsere Geschichte deshalb nie zu Ende geschrieben.“

Herr Pletz, wir danken für das Gespräch.

* Das sogenannte Schachbrett ist ein rautenförmiges schwarz-weiß-rotes Abzeichen, welches dem Deutschen Pfadfinderbund vom Deutschen Kaiser Wilhelm II. als Bundesabzeichen verliehen wurde.

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