Vom Wandervogel zur Hitlerjugend
von Christian Niemeyer
„Ich wars nicht, Hitler ists gewesen“ lautete der Titel eines Theaterstückes, das jahrelang in einem kleinen Off – Theater in Berlin – Charlottenburg aufgeführt wurde. Beim Lesen des Buches von Christian Niemeyer geht einem dieser Satz nicht aus dem Kopf.
Prof. Dr. phil. habil. Christian Niemeyer ist nach Auskunft von Wikipedia Stellvertretender Leiter des Instituts für Sozialpädagogik, Sozialarbeit und Wohlfahrtswissenschaften an der Technischen Universität Dresden und verfügt über eine umfangreiche Anzahl von Veröffentlichungen auch über die Themen Jugendbewegung bzw. Bündische Jugend und Antisemitismus bzw. Nationalsozialismus; insbesondere sei auf eine Veröffentlichung in der Zeitschrift für Sozialpädagogik 11 (2013), S. 416 – 438 hingewiesen: Wie viel Kritik verträgt die Jugendbewegung eigentlich? Eine kritische Anfrage im Hinblick auf die Entsorgung der NS – Vergangenheit durch Jugendbewegungsveteranen im Umfeld der Burg Ludwigstein.
Niemeyer zeigt im ersten Kapitel seines Buches einige bittere Wahrheiten über die Jugendbewegung und ihre Mythen auf und kommt dann zwangsläufig zur Kindt – Edition, also der dreibändigen, von Werner Kindt herausgegebenen „Dokumentation der Jugendbewegung“ (1963/1968/1974), an der keiner vorbeikommt, der sich mit der Geschichte der Jugendbewegung befasst. Das spätere Wirken etlicher Akteure der Bündischen Jugend in der Hitlerjugend und in NS – Organisationen, das in der Kindt – Edition verschwiegen bzw. kleingeschrieben wurde, wird von Niemeyer aufgedeckt und ideologische und historische Zusammenhänge werden deutlich gemacht. Ebenso wirft er einen kritischen Blick auf die Anfänge des Wandervogels und auf die angeblichen Ziehväter der Jugendbewegung.
Im Hinblick auf die Tatsache, dass eine wissenschaftliche Kommission für die Geschichte der Jugendbewegung, die zugleich auch den wissenschaftlichen Beirat des Archivs der Jugendbewegung auf Burg Ludwigstein bildete, an dem Werk mitgewirkt hat, und im Hinblick auf von Niemeyer genannte Beiträge solcher Jugendbewegungsveteranen in den Jahrbüchern des Archivs der Jugendbewegung, steht die Mitverantwortung des Archivs der Jugendbewegung außer Frage. Es muss daher die Frage erlaubt sein, ob nicht eine gewisse Kontinuität in der Verschleierung der NS – Vergangenheit im Umfeld der Burg Ludwigstein Methode hat. Daraus ergibt sich dann auch die Frage nach dem Umgang mit neurechten und extrem rechten Gruppierungen heutzutage.
Es ist daher höchst eigenartig, dass die gegenwärtige Auseinandersetzung um rechte Gruppierungen im Zusammenhang mit dem Meißnertreffen und der Haltung der Verantwortlichen auf der Burg Ludwigstein zu diesen Gruppierungen umgewidmet wurde in eine Auseinandersetzung zwischen den Gruppen, wobei man sich auf der Burg nur noch als Mediator versteht. Sollte es hier etwa auch Kontinuitätszusammenhänge geben?
Gebundene Ausgabe: 272 Seiten
Verlag: Francke; Auflage: 1 (2. Oktober 2013)
ISBN-10: 3772084885
ISBN-13: 978-3772084881