Hessisches Sozialministerium friert Burg Ludwigstein sämtliche Fördermittel ein – Update

Auf der Jugendburg Ludwigstein in Hessen sind völkische Jugendbünde willkommen. Bei einem Treffen Anfang Oktober gaben sich prominente rechte Publizisten die Klinke in die Hand. Hessens Sozialminister Stefan Grüttner (CDU) hat nun sämtliche finanzielle Zuwendungen bis zu einer Klärung der Verhältnisse auf der Burg eingefroren.

Zuerst erschienen auf ZEIT-online beim Störungsmelder

Stolz erhebt sich die Burg Ludwigstein über dem Werratal bei Witzenhausen an der Grenze zwischen Hessen und Thüringen. Traditionell gilt die Burg Gruppen der Pfadfinder- und Wandervogelbewegung als Heim und geistiges Zentrum. Das Hessische Staatsarchiv betreibt hier eine Außenstelle, das „Archiv der Jugendbewegung“. Es finden Bildungsangebote und internationale Begegnungen statt. Doch seit einigen Jahren riskieren die Verantwortlichen vor Ort den guten Ruf der Jugendburg und ihrer Bildungsstätte.

So kamen bei einem „Markt der Jugendbewegung“ am 3. Oktober nicht nur einige Pfadfindergruppen auf die Burg, sondern auch herausragende Vertreter rechter Kaderschmieden. Es erschienen mehrere Personen, die in einem Dossier der Bundeszentrale für politische Bildung über Intellektuellen Rechtsextremismus erwähnt werden.

Das „who is who“ der Neuen Rechten

Auf dem „Markt der Jugendbewegung“ war etwa Götz Kubitschek zugegen. Der ehemalige Gildenschafter, frühere Autor der Jungen Freiheit und Leiter des Instituts für Staatspolitik betreibt heute mit der „Edition Antaios“, einen nationaloppositionellen Verlag. Am Wochenende nach der Meißnerfahrt war Kubitschek in Berlin. Dort stellte er mit dem Freibund-Mitglied und Publizisten Felix Menzel zum zweiten Mal den „Zwischentag“ auf die Beine, eine Messe rechter bis extrem rechter Initiativen, Verlage und Organisationen. Menzel versuchte jüngst vergeblich, sich juristisch gegen die Aussage des Autors dieses Artikels zu wehren, sein Onlinemagazin „Blaue Narzisse“ weise eine „geistige Nähe zu mutmaßlichen NSU-Sympathisanten auf“. 2007 sagte Menzel in einem Interview in der Zeitschrift „Sezession“ des Instituts für Staatspolitik, dass das Engagement in jugendbewegten Gruppen einer „rechten Milieubildung“ dienen solle.

 

Auf dem Hohen Meißner fand vom 2. bis 6. Oktober das Gedenken an den „1. Freideutschen Jugendtag“ im Oktober 1913 statt. Zu den Hauptfeierlichkeiten kamen zirka 3500 Menschen, überwiegend Pfadfinder und Wandervogelgruppen, zusammen, um ihr Jubiläum zu begehen. Völkischen Bünden war eine Absage erteilt worden. Schon bei einem Vorbereitungstreffen 2010 waren sie von der Vorbereitung und Durchführung des „Meißnerlagers“ ausgeschlossen worden.

„Es existierten teilweise erhebliche Zweifel, inwiefern die besagten Bünde ein weltoffenes und tolerantes Weltbild pflegen“, teilt einer der Sprecher des Treffens auf Anfrage mit. Man ist vorsichtig geworden; eine der Gruppen hatte im Zuge des Ausschlusses mit einer Verleumdungsklage gedroht. Beim offiziellen Festakt nahm Thomas Grothkopp als einer der Hauptredner Stellung: Eine inhaltliche Auseinanderstzung mit nationalistischer politischer Indoktrination sei ebenso wichtig, wie die Abgrenzung hiervon. Eine so klare Abgrenzung war in der jugendbewegten Szene sehr lange keine Selbstverständlichkeit.

Stattdessen wurde nach dem Ausschluss der rechten Gruppen eine „Meißner-Fahrt“ organisiert, an der nun die völkischen Gruppen teilnahmen.

 

Auch Dieter Stein, Chef der rechtsnationalen Wochenzeitung „Junge Freiheit“ hatte sich mit zwei seiner Kinder zu der Meißner-Fahrt eingefunden, die von der thüringischen Burg Hanstein über die Veranstaltung auf Burg Ludwigstein zum Hohen Meißner führte. Auch Stein wird in dem Dossier der Bundeszentrale für politische Bildung genannt.

 

Der Historiker Karlheinz Weißmann, ebenfalls Autor der Jungen Freiheit und diverser Publikationen der Neuen Rechten ebenfalls ehemaliger Gildenschafter, steuerte einen Artikel bei, in dem er die Erinnerung an die völkischen Töne wachruft, die beim Jugendtag 1913 angeschlagen wurden: „Die einen plädierten für „Abstinenz“ und für die „Überwindung des Kapitalismus aus dem Geist eines erneuerten Deutschtums“, der „Bund der Volkserzieher“ warb für die „völkische Reform des Bildungswesens“, es er hoben sich Stimmen für „Rassenhygiene und Siedlungsgedanken, soziale Aufbauarbeit und Bekämpfung der Sittenlosigkeit“, der Vertreter des Österreichischen Wandervogels bekräftigte den „arischen Standpunkt“, der für ihn in der Abwehr „der Welschen“, „der Juden“ und vor allem „der Slawen“ seinen Zweck hatte. Solche Positionen bildeten aber die Ausnahme und riefen bei vielen Teilnehmern Kopfschütteln hervor. Sie durften sich immerhin durch den Pädagogen Gustav Wyneken verstanden fühlen, der ausdrücklich den Eigenwert der „Jugendkultur“ hervorhob.“

 

Der heutige Leiter des Instituts für Staatspolitik, Erik Lehnert, lieferte einen allgemein gehaltenen Beitrag über die Jugendbewegung. Empfohlen wird per Web-Adresse der Freibund. Wie schon oft in der Jungen Freiheit.

 

Rechte Milieubildung

 

Im Zuge einer szeneinternen Debatte veröffentlichten die Gremien der Jugendburg Ludwigstein eine gemeinsame „Erklärung zur offenen Burg“. Es ging hierbei um die Frage, ob Mitglieder des „Freibund-Bund heimattreuer Jugend“ oder des von der 1994 verbotenen Wiking-Jugend abgespaltenen „Sturmvogel – Deutscher Jugendbund“ zu Veranstaltungen der Jugendburg zugelassen werden sollten. Seitdem nimmt nicht nur der Freibund an Burgveranstaltungen wie dem jährlichen Kirschenfest oder dem ebenfalls jährlich stattfindenden „Beräunertreffen“ teil. Auch der „Deutsche Mädelwanderbund“, die „Fahrenden Gesellen – Bund für deutsches Leben und Wandern“ und die Deutsche Gildenschaft besuchen zu diesen Anlässen die Burg – und nutzen diese auch für eigene Veranstaltungen.

 

Burg LudwigsteinSo feierten im Mai 2009 die „Fahrenden Gesellen“, die nicht mit reisenden Handwerksgesellen zu verwechseln sind, ihr 100-jähriges Bestehen auf der Burg. Im September 2010 urteilte das Landgericht Berlin mit Hinweis auf die Schriften des Vereins, dass die Aussage, die „Fahrenden Gesellen“ seien „verbandelt mit führenden Rechtsradikalen und propagieren ein Deutschlandbild in den Grenzen von 1939“ als legitime Meinungsäußerung zu werten sei (Aktenzeichen 27 O 288/10). Schon kurz nach der Gründung wurde in das „Bundesgesetz“ der Fahrenden Gesellen ein „Arierparagraph“ aufgenommen, der festlegte, dass jüdische Menschen von der Mitgliedschaft ausgeschlossen waren. Heute besagt das Bundesgesetz, das nur „unbescholtene Deutsche“ Mitglied des Vereins werden können. Ein Mitglied der Fahrenden Gesellen fungierte als Bauleiter bei der Errichtung eines neuen Gebäudes auf der Burg. Das Bundesfamilienministerium teilte auf Anfrage mit, dass das Bauvorhaben mit einer Summe von 150.000 Euro gefördert, das Hessische Sozialministerium gibt an, dass die gesamte Fördersumme 350.000 Euro im Jahr 2009 und weitere 150.000 Euro in 2011 betrug.

 

„Der Verfassungsschutzbehörde bekannt“

 

Die Niedersächsische Landesregierung hat im Januar 2010 während einer Landtagssitzung erklärt, dass deren Verfassungsschutzbehörde die Aktivitäten von Deutscher Gildenschaft und Freibund – Bund Heimattreuer Jugend “mit großer Aufmerksamkeit [verfolge], um zu prüfen, ob die Grenze zur verfassungsfeindlichen Bestrebung überschritten ist.” Anlass war eine Anfrage der Abgeordneten Pia-Beate Zimmermann (LINKE) .

 

Die Deutsche Gildenschaft ist eine Studentenverbindung, die sich gemäß einer Selbstdarstellung „mit nationaler Überzeugung und [in] bündischer Tradition“ als Dachverband ihrer regional aktiven Gilden und als Lebensbund versteht. Vor kurzem gab es Schlagzeilen in Thüringen als bekannt wurde, dass Karl-Eckard Hahn, Regierungssprecher der Ministerpräsidentin Christine Lieberknecht (CDU) Mitglied der Deutschen Hoschulgilde Trutzburg Jena zu Göttingen“ sei. Bis zu einer Prüfung der Gruppierung durch die Bundesinnenministerkonferenz lässt Hahn seine Mitgliedschaft nun offiziell ruhen. Ein langjähriger Aktivensprecher der Gildenschaft hat sich in den letzten Jahren als Kurator des Archivs der Jugendbewegung auf der Burg profilieren können. Als eigene Veranstaltungen der Gilde seien etwa die „Gildentage“, der Hochschulgilde „Trutzburg Jena zu Göttingen“ 2006 oder der Gildentag aller örtlichen Hochschulgilden 2010 genannt.

 

Rechte Jugendbünde

 

In völkisch-nationalistischen Jugendbünden findet Erziehung von Kindern und Jugendlichen nach völkischen Kriterien statt. Die Fahrten führen vornehmlich in ehemals deutsche Gebiete Osteuropas. Es gab in der Vergangenheit Kontakte der genannten Gruppen oder ihrer Mitglieder zu ausgewiesenen rechtsextremen Organisation. Dazu zählen etwa die rassistisch-“ariosphische“ Glaubensgemeinschaft der „Ludendorffer – Bund für deutsche Gotterkenntnis“ ebenso wie die heidnisch-rassistische „Artgemeinschaft“, die 2009 verbotene „Heimattreue Deutsche Jugend“ oder das als Zentrum von Holocaust-Leugnung im Jahr 2008 verbotene Collegium Humanum. In einem internen Schreiben des thüringischen Staatsschutzes an die Landesregierung wird das Winterlager des Freibundes Ende 2007 in einer Auflistung „rassistische[r] und rechtsextremistische[r] Aktivitäten“ aufgeführt.

 

Leute wie Dich hätte man früher vergast“

 

Burg LudwigsteinIm März vergangenen Jahres wurde laut eigenen Angaben ein Besucher des „Beräunertreffens“ auf der Burg Ludwigstein im Laufe einer Auseinandersetzung über die Nachtruhe mit den Worten bedroht und beleidigt, Leute wie ihn „hätte man früher vergast“. Der Staatsschutz ermittelte gegen Unbekannt, das Verfahren ist mittlerweile ohne Ergebnis eingestellt worden. Auf Anfrage geben die Verantwortlichen der Burg an, der Impuls zur Aufklärung „der damals im Raum stehenden Vorwürfe“ sei von einer ihrer Bildungsreferentinnen ausgegangen. Anfang Oktober erschien mit Steffen Hupka ein bekannter Neonazi-Aktivist zum „Markt der Jugendbewegung“. Er wurde vom Burgbetriebsleiter des Geländes verwiesen. Eine Antwort, warum solche Personen sich von ihren Veranstaltungen angezogen fühlen, haben die Burgverantwortlichen nicht. Mit ihrem Wissen seien „in den letzten zehn Jahren“ Burgveranstaltungen „zu keiner Zeit von Neonazis besucht, zumal Extremisten vom Besuch der Burg ausgeschlossen“ seien, heißt es auf Anfrage. Aufgefordert, die Offenheit gegenüber völkisch-nationalistischen Gruppen zu begründen, antworten die Burgverantwortlichen dem Störungsmelder “den undefinierten Begriff ‚völkisch-nationalistische Gruppen’“ zöge man „als Entscheidungsgrundlage nicht heran; die Grundlage unseres Handelns bildet der Rechtsstaat. Dies fordern sowohl unsere Satzung als auch unser öffentlich-rechtlicher Bildungsauftrag. “

 

Der wichtigste Fördermittelgeber der Burg, das Hessische Sozialministerium, zeigt sich von den Zuständen auf der Burg jedoch überrascht. Der Hessische Sozialminister erklärt nach Anfrage des Störungsmelders: „Solange die aufgeworfenen Fragen und Vorwürfe nicht eindeutig geklärt sind, werden keine Landesmittel mehr fließen. Das betrifft alle Zuwendungen, auch Entscheidungen über Investitionsförderungen, die derzeit anstehen. Das Hessische Sozialministerium wird sehr zeitnah das Gespräch mit den Vertretern der Jugendburg Ludwigstein suchen und die Vorwürfe prüfen.“ Zudem habe man „gegenüber der Jugendbildungsstätte Jugendburg Ludwigstein immer deutlich gemacht, dass gegenüber eindeutig rechtsradikal orientierten Gruppierungen eine klare Abgrenzung notwendig ist.“ Dem Ministerium war laut eigenen Angaben „nicht im Einzelnen bekannt, welche Gruppierungen an welchen Veranstaltungen teilnehmen.“ Weiter heißt es: „Dass die genannten Jugendbünde auf der Burg eigene Veranstaltungen abhalten, war uns ebenfalls nicht bekannt.“ Das Ministerium werde „diese Information zum Anlass nehmen, hierüber mit den Gremien bzw. Vertretern der Jugendburg unmittelbar in Kontakt zu treten, zu sprechen und erforderlichenfalls Maßnahmen ergreifen.“

Update:

Im vergangenen Herbst berichteten wir über rechte Jugendgruppen, denen auf der hessischen Burg Ludwigstein ein Betätigungsfeld geboten wurde. Das Hessische Sozialministerium hatte nach einer Anfrage des Autors alle Fördermittel für die Jugendbegegnungsstätte vorübergehend eingefroren. Im November waren die Mittel wieder freigegeben worden. Im Ministerium sei man zu der Auffassung gekommen, dass eine „rechte Milieubildung weder befördert noch toleriert wird“.

Der Hessische Sozialminister Grüttner „betonte aber auch, dass es bei derart erheblichen Vorwürfen, die im Raum standen, geboten war, bis zur Klärung die Mittel einzufrieren. „Der Schutz der Kinder und Jugendlichen, die die Burg Ludwigstein besuchen, ist die oberste Richtschnur, an der wir uns orientieren“, sagte der Minister. Aus diesem Grund werde das Hessische Sozialministerium die weitere Entwicklung aufmerksam verfolgen.

Zu den „Vertrauen schaffende Maßnahmen“, die das Ministerium zur Freigabe der Mittel veranlasst haben, gehörte unter anderem der vorläufige Ausschluss aller Jugendbünde wie Pfadfinder und Wandervögel, gleich welcher weltanschaulicher Ausrichtung, von der Burg durch den Vorstand der Trägerstiftung. Dies wurde wiederum von zahlreichen Pfadfinderbünden scharf kritisiert.

Wir werden weiter berichten.

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