Einweihung des Enno-Narten-Baus: Ein Kommentar

Heute wird auf der Burg Ludwigstein im hessischen Werra-Meißner-Kreis der so genannte Enno-Narten-Bau eröffnet. Das Gebäude wurde maßgeblich durch zahlreiche Spenden finanziert und in Eigenleistung durch junge Menschen errichtet. Ganz oben auf der Spenderliste stehen das Land Hessen mit 500.000 Euro und das Bundesfamilienministerium, ebenfalls mit einer Summe im sechsstelligen Bereich. Doch wer war Enno Narten?

In der Weimarer Zeit hauptsächlich als Jugendpfleger tätig, knüpfte er daran nach 1945 Wieder an. Narten gilt als Gegner der Wiederbewaffnung und wurde Anfang der fünfziger Jahre für sein diesbezügliches Engagement aus der SPD ausgeschlossen.

In den wenigen vorhandenen Darstellungen der Biografie Enno Nartens bleibt in der Zeit zwischen 1933 und 1945 jedoch meist ein weißer Fleck. Wenig ist bekannt über die Arrangements, die Narten mit dem Nationalsozialismus traf. Wenig auch darüber wie genau es dem jugendbewegten Kreis alter Wandervögel um ihn gelang, bis zur vollständigen Enteignung der Burg 1942 mehr oder weniger unbehelligt aktiv zu bleiben. Aber will das überhaupt jemand wissen?

„Heil Hitler!“ – gezeichnet: Enno Narten

Aufschluss gibt ein Gespräch zwischen Mitarbeitern der Burg Ludwigstein mit Arno Klönne. Klönne ist emeritierter Professor für Soziologie und Politik und Verfasser des Standardwerks über „Jugend im Dritten Reich – Die Hitlerjugend und ihre Gegner“.

Das Gespräch das in der Reihe der so genannten Ringvorlesungen bereits im Februar 2012 stattfand ist in voller Länge auf der Seite der Burg Ludwigstein anzuhören. Klönne, der Enno Narten kurz nach dem Ende des Zweiten Weltkriges kennen gelernt hatte berichtet, dieser habe sich „so durch das Dritte Reich gemogelt“. Die einzige Quelle, die Klönne dabei nennt sind die Erzählungen Nartens selbst. Seine Ausführungen machen aber deutlich: Klönne möchte Narten das auch gerne glauben. Klönne über Narten:

 

Er hat, wir haben auch mit ihm darüber gesprochen damals, also für ihn sah das so aus, er hat gesagt: Nach 1933 gab es zwei Möglichkeiten also jetzt für Leute wie ihn die so dachten: Entweder man stellt sich auf Untergrund ein, also auf Widerstandstätigkeit – illegal- dass die sehr riskant war liegt ja auf der Hand, oder man versucht, persönlichen Zusammenhalt aufrecht zu erhalten mit Leuten die nicht sich also als, als wirkliche Nazis da betätigen, versucht diesen Zusammenhalt zu halten und hofft, dass das dann irgendwann zu Ende ist. Und er sagt: ‚Wir – er und Freunde – haben sich für die zweite Möglichkeit entschieden‘.

Dieses „Durchmogeln“ sah dann unter anderem so aus:

Das „Soldatenheft“ aus dem jahr 1941 birgt auch den Gegenbeweis zu Klönnes These, Enno Narten und seine Mitstreiter hätte es sich sich nur um „Leute, die sich nicht als wirkliche Nazis betätigten“ gehandelt. Schriftleiter dieses Heftes ist der aus Duderstadt stammende Alfons Schmalstieg (Senior), wie aus dem Impressum hervorgeht.

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Schmalstieg war ein überzeugter Nationalsozialist und glühender Antisemit. Sein Wirken als Schriftleiter der „Eichsfelder Morgenpost“ ist auf der Seite der Geschichtswerstatt Duderstadt eindrucksvoll dokumentiert. Schon 1935 verfasst Schmalstieg einen Artikel mit der Überschrift

„Die Juden sind unser Unglück“

„Gewiß ist die Zahl der Juden in Duderstadt geringer geworden, und wenn auch ihr Einfluß aus dem öffentlichen Leben ausgeschaltet ist, wir wissen dennoch, dass sie in ihrer Art ihr Unwesen getrieben haben und weiter treiben. Der Begriff der Rassenschande war früher leider nicht vorhanden und man erzählt sich, dass es auch in Duderstadt eine ganze Reihe von Judenbastarden gibt, die nur deshalb nicht alle bekannt geworden sind, weil die Juden den Mädeln das Maul zu stopfen verstanden oder die Mädel aus Furcht vor Schimpf und Schande den wirklichen Vater ihrer Kinder nicht angaben.“

Auf den Seiten der Geschichtswerkstatt Duderstadt heißt es über den Schriftleiter des Soldatenheftes des Ludwigsteiner Freundeskreises weiter:

„Schmalstiegs journalistische Hasstiraden enthielten aber auch Eingeständnisse. Die Aufforderung zum Boykott der jüdischen Geschäfte erschien ihm in Duderstadt nicht ausreichend befolgt, zumal von Gegnern des Nationalsozialismus. Diese bezeichnete Schmalstieg als „vom jüdischen Geiste verseuchte ehemalige Zentrumsanhänger“. Ihnen galt eine unverhohlene Drohung:“

„Wer sich dem Juden verwandt fühlt, wer sein Freund ist, der soll das auf seine Weise ruhig bekunden, er soll sich aber auch darüber im klaren sein, dass er dementsprechend eingeschätzt und gewertet wird.“ Als Ziel bezeichnete Schmalstieg, „dass der noch bestehende jüdische Einfluß restlos beseitigt wird, genau so, wie wir hier die Jüdenstraße beseitigt haben, um auch auf diese Weise zu beweisen, dass wir mit den Juden nichts zu tun haben wollen.“
( Eichsfelder Morgenpost am 17.7.1935.)

Auf der Spenderliste des Enno-Narten-Baus findet sich auch der Name Alfons Schmalstieg. Es handelt sich hierbei jedoch sicherlich um den gleichnamigen „Junior“. Immerhin: Die Familie ist dem Ludwigstein treu geblieben.

Formale Zugeständnisse?

Die Einschätzung Arno Klönnes, Enno Narten habe nur „formelle Zugeständnisse“ an das System gemacht, und versucht, „persönlichen Zusammenhalt aufrecht zu erhalten mit Leuten die nicht sich (…) als wirkliche Nazis da betätigen, versucht diesen Zusammenhalt zu halten und [ge]hofft, dass das dann irgendwann zu Ende ist“ hält einer kritischen Überprüfung nicht stand.

Ebenso kritisch ist es zu bewerten, dass Klönne die Selbstauskünfte von Enno Narten über dessen Engagement in der nationalsozialistischen „Kraft durch Freude“ Organisation und seinen Vorsitz im „Niedersächsischen Heimatbund“ ungefragt zu übernehmen scheint. Klönne sagt im Interview:

Und in diesem Zusammenhang KDF hatte er eine Zeit lang da auch eine Funktion gehabt, also eine ehrenamtliche, in Hannover, und ist in dem Zusammenhang dann also auch, ich weiß das Datum jetzt nicht, dann äh, also Mitglied der NSDAP gewesen. Und wäre er das nicht gewesen, hätte er wahrscheinlich auch diesen Landesvorsitz des Heimatbundes nicht übernehmen können. Das war einfach so. Und in diesen Organisationen trafen sich natürlich unterschiedliche Leute. Und es wurde auch immer versucht, ja, irgendwo gegenüber dem Zugriff des Systems, also so ein…ja, man kann nicht sagen, dass das Widerstand gewesen wäre – das war es nicht, aber Zusammenhalt aufrecht erhalten der nicht so völlig also unterlag dem, was so vom System her vorgegeben und gewünscht war. Und er hat sich halt im Rahmen von KDF und Niedersächsischem Heimatbund darum bemüht, Leute die aus dem Wandervogel oder ähnlichen Bünden kamen, nun aber Erwachsene waren über Kulturveranstaltungen, Wanderungen und so weiter zusammen zu halten, wo sie sich dann also auch einigermaßen frei unterhalten konnten, also sozusagen so einen nicht widerständigen aber irgendwo den vom System nicht völlig kontrollierbaren sozialen Zusammenhang zu schaffen. Das war die Idee dabei. Und selbstverständlich, das wäre auch anders nicht möglich gewesen hat er und haben Leute, die ähnliches versucht haben, auch formelle Zugeständnisse an das System gemacht. Wie eben so eine Mitgliedschaft.

So viel naive Schönfärberei ist kaum noch zu ertragen.

In der „Ringvorlesung“ wird auch Nartens Talent erwähnt, vor der NS-Zeit die unterschiedlichsten Gruppen der Jugendbewegung auf Burg Ludwigstein zusammen zu bringen. Von kommunistischen bis hin zu völkischen Gruppen. Sicher betraf sein Bemühen, alte Kontakte und den „Zusammenhalt“ der Mitglieder dieser Gruppen zu pflegen ebenfalls das ganze Spektrum…

Sofern sie nicht interniert oder bereits ermordet worden waren.

Jüdische Jugendbewegung wird in den Diskussionen um die damalige „offene Burg“ aus verständlichen Gründen eher selten erwähnt. Von den Mitgliedern jüdischer Jugendbünde in der Deutschen Jugendbewegung hat bekanntlich kaum jemand den Völkermord der Nationalsozialisten überlebt.

In der Nachbesprechung der „Ringvorlesung“ die auf der Homepage der Burg und in den Ludwigsteiner Blättern erschienen ist, fasst Annemarie Selzer zusammen:

Viele Fragen zu Enno Narten sind noch offen, aber die Lust ist geweckt, sich intensiver mit ihm zu befassen. Arno Klönne bemerkt, dass sein Nachlass noch sehr unerforscht ist, auf mehrere Archive verteilt liegt. Er vermutet, dass es daran liegt, dass Enno Narten es für seine Nachfahren nicht leicht gemacht hat, sich mit ihm zu beschäftigen, weil er so unkonventionell und unbequem war und man nicht umhin kommt, sich damit auseinander zusetzen.

Unkonventionell und unbequem. Aha. Vielleicht liegt der Grund dafür auch in anderen Charaktereigenschaften Enno Nartens. Vielleicht hatte er – wie sehr viele Deutsche nach 1945 – auch kein Interesse daran, dass sich Dritte mit seiner Vergangenheit befassen würden.

Es ist lobenswert, wenn bei den Bauherren auf Burg Ludwigstein die „Lust geweckt“ wurde, „sich intensiver mit ihm zu befassen“. Besser spät als nie, wenn man schon ein Haus nach ihm benennt. Nur fällt es mir schwer zu glauben, dass auch in Zukunft eine kritische Auseinandersetzung stattfinden wird. Allein die tatsache, dass der Bauleiter des „Enno“ einem Bund angehört, der mit führenden Rechtsradikalen verbandelt ist und ein Deutschlandbild in den Grenzen von 1939 propagiert stimmt mich in dieser Hinsicht eher pessimistisch.

Enno Narten hat eine bewegte Biografie. Er nahm am ersten Weltkrieg teil, gründete die Burg Ludwigstein als Jugendburg, lehnte sich nach dem Zweiten Weltkrieg gegen die Wiederbewaffnung auf und scheint zu dieser Zeit (ähnlich wie in der Weimarer Zeit auf dem Ludwigstein) auch mit kommunistisch eingestellten Kreisen zu tun gehabt zu haben. Man machte es sich sicherlich zu einfach, ihn als „alten Nazi“ darstellen zu wollen.

Vieles spricht dafür, dass er während der Zeit des Nationalsozialismus einfach ein Mitläufer war.

Heute wird der Enno-Narten-Bau eingeweiht.

Ehre, wem Ehre gebührt.

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