Viele Fragen, …

Ernst_Meissner_SchäferAn dieser Stelle veröffentlichen wir einen Artikel von Holger -ruski- Technau, der in der Zeitschrift STICHWORT in der Ausgabe 2 / 2009 im Verlag der Jugendbewegung erschienen ist. Der Artikel spiegelt die Diskussion wieder, die innerhalb der jugendbewegten Szene über das Thema „rechte Jugendbünde“ geführt wird.

Viele Fragen, …

Nun, äh, Verzeihung, dürfte ich vielleicht noch einmal stören? Ich gehöre nämlich in der Tat zu denen, die die Fragen hören wollen, welche sich nach der Lektüre des Buches Wer trägt die schwarze Fahne dort aufdrängen. Auch wenn ich damit gefühlt vielleicht nicht zu der bündischen Mehrheit gehöre, welche sich nach dem Motto »Was ich nicht weiß, macht mich nicht heiß« lieber nicht durch derlei Fragerei in ihrer bündischen Zauberwelt stören lassen will.

Nun war natürlich aufgrund der kontroversen Herangehensweise an die Problematik von recht unterschiedlichen Reaktionen auf diese Buchveröffentlichung auszugehen. So gibt es mit Sicherheit angebrachte Kritikpunkte, die sich auch die Autoren gefallen lassen müssen, etwa hier und da vielleicht den Bogen etwas zu weit gespannt zu haben, zu verallgemeinern und vereinzelt überzuinterpretieren. Davon unberührt bleiben dennoch zahlreiche gründlich recherchierte und klar belegte Fakten, die, solange sie nicht eindeutig juristisch widerlegt werden, doch Gegenstand der inhaltlichen Debatten werden sollten.

Doch dazu ist es in den, den kritisierten Bünden zugeneigten Kreisen, nicht gekommen. Im Gegenteil. Das Motto der Reaktion war recht bald »Angriff ist die beste Verteidigung«. Konkret heißt das, dass über Inhalte gar nicht weiter diskutiert wird, sondern sich stattdessen darauf verlegt wird, die Glaubwürdigkeit der Urheber anzuzweifeln, ihre Motivationen zu verzerren und die kritischen Stimmen zu Feinden der Jugendbewegung per se zu stempeln, genau genommen sogar zu Feinden der Demokratie und des Grundgesetzes. Eben die, die stören wollen. Man geht also zum Gegenangriff über und schleudert die angebrachte Kritik doppelt verschärft zurück. Vergleiche der Methoden mit der NS-Zeit, auf der anderen Seite die Subsumierung der Abgrenzungsbestrebungen auf »Linksextremismus «, sind dabei dann plötzlich vertretbare Methoden. Es wird ein böser linksextremistischer Feind gezeichnet, der der gesamten bündischen Jugend den Garaus machen möchte, mit dem Ziel alle lieb gewonnenen Traditionen, Sitten und Bräuche zu vernichten, Zwietracht zu säen und das Demokratieverständnis der Bünde zu erschüttern. Wer unangenehme Fragen stellt, etwa bzgl. fragwürdigen Formulierungen mit ethnopluralistischem Ansatz, Verbindungen zu Personen antisemitischer Vereinigungen, xenophobischen Äußerungen in Bundesorganen etc. p.p., handelt demnach gegen die Jugendbewegung, hat automatisch einen linksextremen Hintergrund und bedient sich Stasi- und ns- Methoden? Ein Radikalschlag gegen die Möglichkeiten jeglichen weiteren Dialogs! Aber durchaus effektiv, da es seit diesen Disputen, um eine inhaltliche Auseinandersetzung der dargelegten Sachverhalte überhaupt nicht mehr geht. Die fraglichen Fakten sind mit einem plumpen »überzogen, aus dem Zusammenhang gerissen, aufgebauscht und verfälscht« vom Tisch gefegt, umso eifriger widmet man sich dem Gegenschlag: kritische Stimmen zu diskreditieren, die Motivationen zu einem Zerrbild zu verklären, um die übrige bündische Szene darüber zu einem Schulterschluss zu animieren – und das auch durchaus gegen eine allzu kritische journalistische Öffentlichkeit. Ging es zunächst gegen die Autoren des Buches, wird nun der gesamte Verlag unter Ideologie – nein – Extremismusverdacht gestellt. Dass dieser vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend unterstützt wird, beweist dann wohl weiterhin, dass auch unsere Ministerien bereits von deutschfeindlichen Extremisten dominiert werden? Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass in der Blauen Narzisse, einem rechten Internetzeitungsprojekt, in eben dieses Horn getutet wird, indem über den »Fall Baumgärtner« berichtet wird. Ausgerechnet der sehr umstrittene »Extremismus-Forscher« Claus Wolfschlag wird dort als wissenschaftlicher Support ins Feld geführt. Es wird von einer Anfrage der Gegenseite an das Ministerium bzgl. des Buches gesprochen1 Damit soll wohl die juristische Anfechtbarkeit des Buches herausgestellt werden. Nun waren gerade in der Blauen Narzisse die Reaktionen auf Röpkes Ferien im Führerbunker und ein Verbot der hdj schon recht ähnlich. Ein Herr Albert von Koenigsloew verglich Röpke seinerzeit mit der Protagonistin aus Stephen Kings Misery – der Tenor war fast identisch – Gesinnungsschnüffelei frustrierter Journalisten.2 Ob man sich bei der Beurteilung der öffentlichen kritischen Auseinandersetzung mit rechtsgerichteten Jugendgruppen mit solchen Organen gemein machen will, sollte daher äußerst fraglich sein. Solche Signale nach außen rücken die Jugendbewegung in ihrer Gesamtheit sicherlich nicht gerade in ein gutes Licht. Man zieht sich geschlossen ins sektiererische Schneckenhaus zurück, macht die Tür zu, verschließt die Fenster und igelt sich in einer scheinbaren Gemeinschaftlichkeit ein. Journalisten sind böse, sie lauern hinter Hecken, um die uns anvertrauten Kinder und Jugendlichen zu fotografieren, zu katalogisieren, zu verunglimpfen und die Jugendbewegung zu zerstören. Demgegenüber soll die Jugendbewegung Geschlossenheit demonstrieren und mobil werden gegen eine kritische Öffentlichkeit, die seit dem Verbot der hdj auf einen möglichen Missbrauch jugendbewegter Attribute, Äußerlichkeiten und Inhalte aufmerksam geworden ist.

… die nur einer hören will …

Damit spielen diese Gruppen aber leider teilweise recht gut auf der Klaviatur des bündischen Selbstgefühls. Oftmals scheint eine grundsätzliche Skepsis bündischer Gruppen vor einer kritischen Öffentlichkeit gegeben. Man lässt sich nicht gerne hinterfragen, denn das wird man mit dem, was man tut, ohnehin recht häufig. Die angesprochenen Abwehrreaktionen nach außen – Lächerlichmachen der Kritiker, Brandmarkung als Profilneurotiker, welche sich durch hochstilisierte Feindbilder wichtig machen wollen etc. – können somit in verschiedenen bündischen Kreisen recht gut nachvollzogen werden. Zudem wird ein häufig bestehender elitärer Harmoniewunsch bedient, sich durch Geschlossenheit vom »Mainstream« abzuheben. Demgegenüber sind aber wohl die meisten Bünde der journalistischen Öffentlichkeit gegenüber recht aufgeschlossen. Leben wir doch auch von einer Außenwirkung und einer Berichterstattung in der Presse, um nicht im eigenen Sud vor uns hinzuvegetieren, sondern selbstbewusst und transparent in der Öffentlichkeit zu stehen, um uns auch wieder für »Außenstehende« interessant zu machen.

Die klare Absage der internen kritischen Auseinandersetzungen mit möglichen ausgefransten Rändern und der Gefahr einer politischen Einflussnahme in unserer offenen Jugendarbeit propagiert auch ein »lieber nicht genau hinsehen«, denn das wird sofort als Spitzelei oder gar »Gesinnungsschnüffelei« gedeutet. Die Kritiker sind als die Störenfriede der vielfältigen Jugendbewegung enttarnt. Sie werden von bösen linksextremen Journalisten fremdgesteuert, deren Ziel der Kampf gegen das »Gute, Wahre und Schöne« (Selbstdefinition der wahrhaftig Jugendbewegten Elite) ist. Damit wird nicht nur der Wind aus den Segeln genommen, sondern einfach soviel Gegenwind produziert, dass sich das Segel rasch in die entgegengesetzte Richtung bläht.

Der Kurs wird dabei auch gerne mal gewechselt. In Richtung der politisch desinteressierten Mehrheit betont man, man selber sei ja keineswegs politisch, sondern das würde einem nur durch eine »politisierende« (linke) Minderheit angedichtet. (Achtung: politische Unterwanderung von links!) Den eher konservativen jugendbewegten Kreisen gegenüber, die durchaus ein politisches Bewusstsein haben, steht man zu seiner rechtspopulistischen Haltung und stellt sie als ein ganz wichtiges bündisches Standbein heraus, um die »Vielfältigkeit« innerhalb der Jugendbewegung gewährleisten zu können. Hier ist es dann plötzlich sogar wichtig, dass solche politischen Gruppen innerhalb der Szene aktiv sind, weil sonst ja die Vielfalt verloren gehe. Unterstützt wird dies dadurch, dass u. a. versucht wird, an vermeintliche Leitbilder aus den 20er / 30er Jahren anzuknüpfen, um aufzuzeigen, dass es in der Jugendbewegung damals schon möglich war, den Schulterschluss zwischen »Linken« und »Völkischen« zu wagen (siehe den Artikel von Sven Reiß / rosé.3 Ob man gerade diesbezüglich den Geist dieser historischen Epoche erneut heraufbeschwören will, sollte doch gehörig hinterfragt werden. Und schon wieder stören die Fragesteller die historischen Harmonisierungsversuche derer, die nun also ganz offen auch völkisches in der Jugendbewegung unserer Zeit integriert wissen wollen.

Wären diese Reaktionen auf dargestellte problematische Sachverhalte nicht so durchschaubar, würde ich die Bemühungen, sich kritisch mit völkisch-nationalen Gedankenkonstrukten – auch von ganz anderen Seiten her – zu befassen, tatsächlich begrüßen. Wenn sich aber Personen, die zuvor einen bekannten Holocaustleugner zu einer privaten Veranstaltung eingeladen haben4, als Musikanten jüdischer Musik für ein Theaterstück über den jüdischen Jugendbewegten Karl Laabs zur Verfügung stellen5, oder etwa Berry Westenburger als Gegner des Nationalsozialismus für einen Vortrag gewinnen6, erscheint mir das in diesen Zusammenhängen als recht kalkuliert und äußerst unsensibel oder sogar geschmacklos. Vor allem wenn Letzterer dazu missbraucht wird, um die Stilisierung als »Opfer«, als »Verfolgte der Gegner der Meinungsfreiheit« solcher Gruppen, durch seine Erlebnisse im Nationalsozialismus zu untermauern.

– der stören will!

Wenn in besagten Kreisen zu diesen Opfern der Gegner der Meinungsfreiheit auch rechtspopulistische Gruppen wie etwa Pro Köln gezählt werden, welche sich als »Häuflein Aufrechter« gegen die Unterdrückung der freien Meinungsäußerung stellen, ist dies natürlich doppelt zynisch7. Die Fronten verhärten sich weiter und die Debatten stecken scheinbar in einer Sackgasse. Das klingt nach Frustration und die vielbeschworene Spaltung scheint greifbar. Nun habe ich persönlich aber den Eindruck, dass mit den Debatten wesentlich mehr Verbindendes als Trennendes einhergeht. Dort, wo man sich inhaltlich und emotional mit Jugendbewegten verbunden fühlt, kommt es zu ganz neuen Begegnungen, Freundschaften und zu einem bündeübergreifenden Zusammengehörigkeitsgefühl. Gerade in der letzten Zeit wurden über bisherige Bundes- und Ortsgrenzen hinweg enge Kontakte geknüpft, woraus sich tatsächlich derzeit eine sehr blühende vielfältige Gemeinschaft entwickelt. Und dabei ist es nicht Feindschaft, die eint, auch wenn das gerne so dargestellt wird, sondern Freundschaft und der Glaube, Kinder und Jugendliche für eine gute Sache zu gewinnen und an einer weltoffenen Zukunft zu bauen. Es geht nicht um persönliche, sondern um inhaltliche Differenzen, welche aber unüberbrückbar sind. Denn vielen wird es unmöglich, in innerer Überzeugung und Wahrhaftigkeit geschlossen für eine Sache einzustehen, welche auch Meinungsbilder multipliziert, die das eigene bündische – von Weltoffenheit und dem Abbau interkultureller Berührungsängste geprägte – Selbstverständnis pervertiert. Insofern sind diese oftmals nervigen, aber notwendigen Diskussionen im Grossen und Ganzen eher befruchtend als zermürbend und der Gewinn daraus unbezahlbar.

Wie es wohl schon zu den Jubiläen zuvor war, entwickelt sich tatsächlich etwas übergreifendes Neues und man fühlt sich glücklich dazuzugehören. Nicht nur in den einzelnen Foren (West, Ost, Nord, Süd), sondern auch weit darüber hinaus, knüpfen sich neue Bande. Damit sind entscheidende Weichen – bei aller notwendigen Distanzierung und Klarheit in einer gemeinsamen Selbstdarstellung – für ein gemeinsames Fühlen in Bezug auf eine erneute Wiederbelebung des jugendbewegten Geistes gestellt. Was – bei aller Verschiedenheit und Vielfalt – emotional und ideell zusammengehört, findet sich, vielleicht nicht zu einem großen Ganzen, vielleicht zu mehreren. Das ist, meine ich, nicht zwangsläufig zu betrauern, sondern stiftet neuen Schwung und neue Motivation für eine selbstbewusste, kreative erneute Verortung der einzelnen Bünde und überbündischen Gemeinschaften für einen neuen Weg in die Zukunft. Viele Menschen, die mir heute viel bedeuten, denen ich mich freundschaftlich verbunden fühle und die ich sehr schätze, hätte ich außerhalb der Auseinandersetzungen vielleicht nie kennen gelernt.
Das Gefühl, sich gemeinschaftlich für etwas einzusetzen, das für jeden Einzelnen einen Grossteil des eigenen Geworden-Seins ausmacht und dem man sich von Kindheit an mit viel Engagement gewidmet hat, wirkt sehr belebend. Dafür einzutreten, dass man für dieses Engagement jederzeit selbstbewusst gemeinschaftlich eintreten kann und auch einer (oftmals zu Recht) kritischen Öffentlichkeit vorbehaltlos und offen gegenübertritt, weil man voll und ganz überzeugt davon sein kann, sich für eine Gute Sache einzusetzen – die selbstverständlich auch durch äußere Anregungen nie unfehlbar und immer wieder neu zu hinterfragen und zu überdenken, nie aber gänzlich umzukrempeln oder gar umzustoßen ist – verbindet derzeit viele Jugendbewegte unterschiedlichster Herkunft und Ausrichtung. Ich habe jedenfalls seit Beginn der Diskussionen wesentlich mehr Verbindendes als Trennendes erlebt. Und dafür bin ich sehr dankbar. Und damit stehen wir tatsächlich auch genau in der Tradition der Meissnerfahrer. Denn für ein unbedingtes oder gar bedingungsloses Suchen nach Akzeptanz gegenüber Allem, waren die Jugendbewegten zu allen Zeiten größtenteils zu idealistisch. Die innere deologische Verbundenheit für eine Sache, die die eigene Biografie maßgeblich beeinflusst hat, ist den engagierten Jugendbewegten eigentlich schon immer zu wertvoll gewesen, um sie einer herbei geredeten (und ja nicht wirklich gefühlten) übergreifenden Harmonie wegen beliebig werden zu lassen.

Die Jugendbewegten haben sich 1913 auf dem Meissner zusammengefunden, um deutlich zu machen, in welcher Tradition sie nicht stehen. Ein Konsens konnte damals nicht alle Bünde einbeziehend und übergreifend gefunden werden. Die Kompromissbereitschaft hatte da seit jeher Grenzen. Und diese gibt es wohl auch heute. Wenn wir nachfolgende Generationen mit innerer Überzeugung für eine Bewegung gewinnen wollen, würde absolute Bedingungslosigkeit nahezu fahrlässig sein.

Insofern sollte man sich vielleicht doch auch hier und da von notwendigen Fragen in der scheinbar heilen Welt stören lassen, wenn es um innere Wahrhaftigkeit geht.

Quellenangaben und Verweise:

1Artikel vom 20.07.2009:
www.blauenarzisse.de/v3/index.php/aktuelles/951-linksextremismus-
kommt-bewegung-in-den-fall-baumgaertner

2Artikel vom 10.10.2008:
www.blauenarzisse.de/podcast/index.php?id=908 Dieser Link
war am 03.09.2009 nicht mehr aufrufbar. Ein Screenshot
liegt der Redaktion vor.

3Artikel vom 24.07.2009:
http://buendische-vielfalt.de/?p=184

5Vgl. http://www.burgludwigstein.de/Bericht-Bilder-
2009.392.0.html

6Artikel vom 08.08.2009:
http://buendische-vielfalt.de/?p=267

7Henrik Rachor (Bundesführer der Fahrenden Gesellen) in:
Der Fahrende Gesell (Bundeszeitschrift der Fahrenden Gesellen),
Ausgabe 4/2008.

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