Bundestag der Deutschen Gildenschaft auf Burg Ludwigstein

Ludwigstein_BriefmarkeVom 18. bis 20. Juni findet auf der Burg Ludwigstein im hessischen Werra-Meißner-Kreis wie üblich das so genannte Kirschenfest statt. In der Vergangenheit gab es mehrfach heftige Diskussionen und Unmut über die Teilnahme von Mitgliedern rechter Bünde an diesem frühsommerlichen Ereignis. In diesem Jahr wird es wohl wieder unerwartete Begegnungen geben: Die „Deutsche Gildenschaft“ (DG) veranstaltet auf der Burg zeitgleich ihren „Bundestag“.

Der Bundestag ist eine Versammlung aller aktiven Gilden der Deutschen Gildenschaft. Dass er dieses Jahr auf Burg Ludwigstein stattfinden wird, ist den internen Ausschreibungen der Semesterprogramme der Hochschulgilden „Gorch Fock zu Hamburg“ und „Trutzburg Jena zu Göttingen“ zu entnehmen. Auf den Internetseiten der DG, auf denen die Semesterprogramme ebenfalls einsehbar sind, wurde der Ort jedoch nicht veröffentlicht, vermeintlich um erneute Diskussionen um die Offenheit der Burg Ludwigstein gegenüber rechten Jugendbünden vorzubeugen.

Bereits im vergangenen Jahr fand auf Burg Ludwigstein eine Veranstaltung ähnlicher Kategorie statt: Die „Fahrenden Gesellen – Bund für Deutsches Leben und Wandern“ (FG) feierten dort ihr 100-jähriges Bestehen. Zumindest ein Mitglied der Fahrenden Gesellen ist auf Burg Ludwigstein ein oft und gern gesehener Gast: Gunthart S., der nach eigener Aussage einem „inneren Führungskreis“ der Fahrenden Gesellen angehört. S. ist ebenfalls nach eigener Aussage mit einem Ehepaar aus Mecklenburg-Vorpommern gut befreundet und gab als Adresse eine zeitlang deren Wohnhaus an. Bei dem Ehepaar handelt es sich um Sigrid und Gautier D., denen Anfang 2006 in der Zeitschrift der Heimattreuen Deutschen Jugend, dem „Funkenflug“ zur Geburt ihres zweiten Kindes gratuliert wurde. Gunthart S. ist regelmäßiger Teilnehmer der Bauhütten auf Burg Ludwigstein. Diese mindestens zweimal jährlich stattfindenden Bauhütten sind Freiwilligeneinsätze, die zur Erhaltung der Burganlage dienen.

Sowohl die Gildenschaft als auch die Fahrenden Gesellen machten in der Vergangenheit u.a. von sich reden, da sie gemeinsam mit der inzwischen verbotenen „Heimattreuen Deutschen Jugend“ (HDJ) an gemeinsamen Veranstaltungen – wie dem jährlich stattfindenden „Burgfest“ – teilnahmen. Mitglieder der Gildenschaft und dem mit den Fahrenden Gesellen assoziierten „Deutschen Mädelwanderbund“ (DMWB) richteten dieses Burgfest mehrmals maßgeblich aus. Eine Reihe weiterer Kontakte ins extrem rechte Milieu wurde ausführlich dokumentiert.

Eine bemerkenswerte Anzahl von Jugendbewegten Gruppen hat sich von gemeinsamen Veranstaltungen mit derartigen Gruppen ausdrücklich distanziert (1, 2, 3, 4, 5, 6)

Die Verantwortlichen der Burg Ludwigstein erklärten  hingegen in einer öffentlichen Stellungnahme ihre Offenheit gegenüber diesen Gruppen, die sie auf dem Boden der freiheitlich-demokratischen Grundordnung sehen. Seither ist beispielsweise der „Freibund – Bund Heimattreuer Jugend“ ausdrücklich zu Veranstaltungen der Jugendbildungsstätte Burg Ludwigstein zugelassen.  Eine Grenze werde nach Aussagen von Stephan Sommerfeld, Bildungsreferent auf Burg Ludwigstein, erst bei der HDJ selbst oder der NPD gezogen, die auf der Burg nicht willkommen seien. Diese Aufzählung wurde nach einem peinlichen Zwischenfall um den „Sturmvogel – Deutscher Jugendbund“ erweitert, nachdem dieser von Seiten der Burgverantwortlichen zu gemeinsamen Gesprächen eingeladen worden war. Diese Gespräche hätten dazu dienen sollen, dass sich der Sturmvogel ebenso wie zuvor der Freibund zu den Grundsätzen der Burg bekenne und somit ebenso wie der Freibund einen Persilschein erhielte. Nachdem keiner der Verantwortlichen des Sturmvogel dazu bereit war, sich diesen Gesprächen mit seinem Klarnamen zur Verfügung zu stellen, nahm die Burg nach Angaben von Sommerfeld ihr Angebot zurück.

Kritik an der offenen Haltung der Burg Ludwigstein wird von den Vertretern dieses Standpunktes regelmäßig zurückgewiesen. Der Aktivensprecher der DG, Sven Reiß, schrieb 2009 in einem internen Papier an die Mitglieder der Göttinger Gilde, der Verantwortliche der Jugendbildungsstätte, Stephan Sommerfeld sei „ganz klar für eine selbstverständliche Offenheit gegenüber Gildenschaft, Freibund u.a. (…) und teilte uns mit, dass er die Gildenschaft gerne weiter verteidigen will (…).

Semesterprogramm: Die Klassiker der Neuen Rechten

Wirft man einen Blick auf das Semesterprogramm der Hamburger Gilde, finden sich dort die klassischen Themen, von denen die Ideen der so genannten Neuen Rechten getragen werden. Das Programm besteht aus Vorträgen, die von Mitgliedern der Gilde oder Gästen gehalten werden. In Ermangelung einer festen Behausung finden diese Vorträge in Hamburg bei wechselneden Gildenmitgliedern statt.

So hält „Jule“, mit großer wahrscheinlichkeit ist die Bundesführerin des Freibundes, Juliane G. gemeint, Anfang Juli einen Vortrag über Carl Schmitt und die Lehre von Freund und Feind. Schmitt gilt als „Kronjurist des Dritten Reiches“ und entwickelte ein identitäres Demokratiemodell, in welchem universelle Menschenrechte abgelehnt werden. Diesem Modell liegt die Vorstellung eines möglichst homogenen Volkes zugrunde. Demzufolge seien innerhalb eines „Staatsvolkes“ zwar alle Menschen gleich – und zwar gleichartig. Aus der Gleichartigkeit wurde dann bei Schmitt in der Zeit des Nationalsozialismus die Artgleichheit, die nach NS-Verständnis unter „rassischen“ Gesichtspunkten zu verstehen war. Die Lehren von Schmitt sprechen heutige Neurechte an, die sie zum Konzept des von ihnen oft vertretenen Ethnopluralismus transformieren und propagieren.

Björn R., Lebensgefährte von Juliane G. und ehemaliger Bundesführer des Freibundes hat das Thema „Der Kommunist Gramsci und die kulturelle Hegemonie“ übernommen. Antonio Gramsci entwickelte als erster ein Konzept der „kulturellen Hegemonie“, welches einem politischen Willensträger zur Gewinnung der Unterstützung der breiten Massen der Bevölkerung dienen soll. Die Neue Rechte beruft sich in zahlreichen Veröffentlichungen auf dieses Konzept.

Anfang Juni bereits hielt ein „Diether“ einen Vortrag über „Die Strömungen der so genannten ‚Konservativen Revolution'“. Auch hier handelt es sich um eine klassische Orientierung der Neuen Rechten. Die Konservative Revolution bezeichnet eine Vielzahl von intellektuellen politischen Strömungen der Weimarer Republik (C. Schmitt war einer ihrer bekanntesten Vertreter) deren gemeinsame Wesenmerkmale die Ausrichtung an antiliberalen, antidemokratischen und antiegalitären Vorstellungen waren.

Wohl in Anlehnung an der öffentlichen Kritik gegenüber der Gildenschaft und ihrer Kontakte ins rechtsextreme Milieu wurden die Hamburger Gildenschafter bereits im Mai von ihrem Aktivensprecher Sven Reiß auf das Thema eingestimmt. Er referierte in der eigenen Wohnung, in der er mit seiner Lebensgefährtin Marei M., genannt Zwusel, lebt zum Thema „Wer Extremist ist, bestimme ich! Extremismustheorien und Extremismusexperten.“

Auch bei der Göttinger Gilde kann das Semesterprogramm unter dem harmlos klingenden Motto „Marken“ einen Referenten aus einschlägigen neurechten Kreisen aufbieten. So hielt laut Einladung am 10. Juni Carlo Clemens einen Vortrag mit dem Titel „Parteien als Marken? Eine Parteienkritik“. Clemens ist seit 2008 Autor des Webauftrittes der neurechten Chemnitzer Schülerzeitung „Blaue Narzisse“ und genauso lange Autor in der Jungen Freiheit, einer Wochenzeitung, die vielen als das „Zentralorgan“ der Neuen Rechten gilt.

DG_Göttingen

Briefkopf der Göttinger Hochschulgilde: Das historische Runenzeichen erinnert stark an das umstrittene und heute in einigen Bundesländern verbotene Symbol der Modemarke „Thor Steinar“

Alles Vielfalt?

Auf Burg Ludwigstein freilich ist man über soviel fragwürdiges politisches Engagement nicht besorgt, eher – wie bereits geschildert – an der Kritik gegüber ihrer Offenheit. Man habe mit politischen Gruppen keine Probleme gibt man dort zu verstehen, schließlich seien ja auch schon Mitglieder der „Falken“ dort zu Gast gewesen. Und diese seien ja auch eine politische Jugendgruppe – und noch dazu (dem Namen nach) sozialistisch.

In Gegenteil: Man möchte auf der Burg auch die Kontraste leben. So ist zum Kirschenfest ausgerechnet der Alt-Jugendbewegte Herbert (Berry) Westenburger als Ehrengast eingeladen. Westenburger ist zur Lesung und zum Gespräch über sein Buch eingeladen, indem er die Zeit seiner Jugend bei Nerother Wandervogel, und seine Verfolgung und Inhaftierung durch die Geheime Staatspolizei beschreibt.

Leider ließ sich Westenburger bereits in der Vergangenheit von der Mainzer Gilde „Hildegart von Bingen“ für die Zwecke der Gildenschaft einspannen, wohl ohne zu wissen, an wen er da geraten war. Im vergangenen Jahr wurde er zu einem ihrer Gildentage eingeladen, ebenfalls zur einer Lesung und einem Gespräch. In der medialen Nachbereitung war sich ein Vorstandsmitglied der DG, Isabel Sahm, nicht zu schade, die Verfolgung Westenburgers und seiner Freunde in der Zeit des Nationalsozialismus mit der heutigen öffentlichen Kritik an rechten Jugendbünden wie der DG für sich zu vereinnahmen:

Berry erwähnt, der Staat habe damals einzelne Gruppen für elitäre Geheimorganisationen, gut geschult und brandgefährlich, gehalten – dabei waren sie doch nur um die 50 Personen, die einfach nur ihre Eigenarten, ihr bündisches Leben und Singen ausleben wollten. Wie gut kennen auch wir eine solche Einschätzung, wenn auch nicht durch staatliche Organe, so doch durch eine Zivilgesellschaft, die den Wert von Meinungsfreiheit und Toleranz zusehends mehr vergißt.

Fazit

Die Gildenschaft versteht sich seit ihrer Gründung als politische „Tat – und Erziehungsgemeinschaft“. Heute ist sie politisch in der Neuen Rechten zu verorten, was sich allein aus den aktuellen Semesterprogrammen, aber auch aus vielerlei anderen Sachverhalten leicht ablesen lässt.

Zum Selbstverständis der Neuen Rechten gehört zwar meist eine Ablehnung des Nationalsozialismus, wohl aber ein dauerhaft positiver Bezug zu den antidemokratischen Denkern der Weimarer Republik, sowie ein identitäres – im weiteren Sinne „völkisches“ – Demokratieverständnis. Manchem mag dieser Umstand widersprüchlich erscheinen, dem anderen kognitiv unzugänglich sein. Wieder andere machen sich die Dialektik der Neuen Rechten zu eigen und scheuen nicht davor zurück, Opfer des Nationalsozialismus für ihre eigenen antidemokratischen Zwecke zu instrumentalisieren.

Wozu mag das  Zusammentreffen von vielen unbedarften Besuchern des Kirschenfestes mit dem kompletten Bundestag der Deutschen Gildenschaft und einem Zeitzeugen aus der NS-Zeit mit jugendbewegter Vergangenheit am kommenden Wochenende auf Burg Ludwigstein vor diesem Hintergrund wohl nützlich sein?

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